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Close-Up: DAS APPARTEMENT - Menschenmengen und Einsamkeit

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Billy Wilders Tragikomödie DAS APPARTEMENT (mittlerweile als DAS APARTMENT geschrieben) ist einer der bittersten heiteren Filme der Filmgeschichte. Es ist brillant, wie Wilder und sein Co-Autor I.A.L. Diamond mit sanftem Witz und viel Menschlichkeit eine ganz traurige Geschichte über die Einsamkeit erzählen. Wer die Story nicht kennt: Der Büroangestellte C.C. Baxter verleiht stundenweise sein Apartment an Vorgesetzte, die einen ruhigen Platz für ihre außerehelichen Affären suchen. Das bringt ihm bald eine Beförderung ein - aber dann unternimmt eine Gespielin seines Chefs, an der er selber interessiert ist, in seiner Wohnung einen Selbstmordversuch mit Schlaftabletten.

Beim erneuten Ansehen fiel mir auf, wie Regisseur Wilder und Kameramann Joseph LaShelle immer wieder mit ähnlichen Einstellungen arbeiten, die Hauptfigur Baxter in eine Menge setzen und ihn dann isolieren. Die Bilder treten quasi in Paaren auf, von denen eins als Echo des anderen fungiert.




Gleich zu Beginn kommt das eindringlichste Bild: Unser Erzähler ist so sehr in der unendlichen Weite und Menschenmenge des Büros versteckt, daß wir ihn gar nicht richtig sehen. Es heißt, daß Kleinwüchsige und bewegliche Aufsteller eingesetzt wurden, um die hinteren Arbeiter darzustellen - so wurde mehr Tiefe ermöglichst, als es am Studioset eigentlich möglich gewesen wäre. Man beachte anhand der Deckenleuchten, wie unsere Perspektive sogar etwas gewölbt ist - als würde man bis zu einem Horizont sehen.

Im Kontrast dazu dann wenige Momente später das Pendant: C.C. Baxter macht alleine Überstunden, sitzt verloren und einsam im Meer der Schreibtische.


 
 
 

Wenig später sehen wir Baxter, wie er sich zusammen mit einem großen Pulk in den Bürofahrstuhl quetscht. Dort redet er kurz mit Ms. Kubelik, der Fahrstuhlfahrerin.

Als er kurz darauf für seine Dienste befördert werden soll, wird er in die Chefetage gerufen. Wieder sehen wir Baxter mit Kubelik im Fahrstuhl - diesmal alleine. Und wieder sehen wir ihn vor dem Fahrstuhl, aber diesmal nur mit Ms. Kubelik, die sogar extra zu ihm herauskommt. Die Parallel-Bilder kommen also in gespiegelter Reihenfolge.



Baxter überredet Ms. Kubelik, mit ihm in ein Musical zu gehen. Während sie beim Dinner mit Baxters Chef Sheldrake sitzt, sehen wir die Menschenmasse vor dem Theater. Baxter bahnt sich seinen Weg Richtung Straße, um nach Ms. Kubelik zu suchen. Wenig später hat das Stück angefangen, während Baxter noch alleine vor dem Theater auf Kubelik wartet.




In diesem Fall wird der Gegensatz in einer einzigen Einstellung erzählt: Bei der Weihnachtsfeier im Büro scharen sich die Leute um eine Frau, die auf einem Tisch tanzt. Dann kommt Baxter von rechts ins Bild und geht an der Masse vorbei. Die Kamera schwenkt nach links mit, bis die Menge komplett aus dem Bild verschwunden ist und Baxter wieder alleine in der Büroumgebung zu sehen ist - abgesehen von einem seiner Vorgesetzten, der wieder den Schlüssel für seine Wohnung haben will.



Zu Weihnachten setzt sich Baxter in eine mit Menschen gefüllte Bar - alleine in der Menge. Immerhin sehen wir ihn diesmal sofort. Er wird dort von einer ebenso einsamen Frau angesprochen, mit der er den Abend verbringt - bis zur Sperrstunde, wo wir ihn und die Dame in dem mittlerweile (bis auf den Barkeeper) leeren Lokal sehen.

Es gibt übrigens auch Bilder, die nach ähnlichem Prinzip arbeiten, aber ohne das Pendant verwendet werden:


Während seine Wohnung mitten in der Nacht verwendet wird, versucht Baxter, auf einer Parkbank zu schlafen, die sich bis in die unendliche Leere zu erstrecken scheint.


Beim Herumtelefonieren, um seine Termine zu koordinieren, sehen wir eine lange Reihe von Telefonistinnen. Die vorderste entpuppt sich dann übrigens als Gespielin eines Vorgesetzten von Baxter.

Das Gekonnte dieser Bild-Strategie von DAS APPARTEMENT ist, wie subtil sie eingesetzt wird: Das Prinzip wird nicht mit formaler Strenge angewandt, jede Variante hat ihre eigenen kleinen Eigenheiten. So wird immer wieder das Gefühl erzeugt, wie Baxter entweder in der Menge untergeht oder von ihr getrennt ist, ohne darauf besondere Aufmerksamkeit zu lenken.

CITY WOLF: Ein lässiger Todesengel revolutioniert das Actionkino

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Die Rache an der Bande, die seinen Freund Ho verraten hat, sucht der Gangster Mark im Alleingang. Er überrascht die Bandenmitglieder in einem Restaurant, wo sie ausgiebig feiern, und richtet sie mit nicht endenden Salven von Pistolenschüssen. Von links, von rechts, von hinten kommt Verstärkung angelaufen, aber Mark hat die Lage im Griff. Vor dem Massaker hat er zusätzliche Waffen in den Blumentöpfen des Lokals versteckt, und so kann er beidhändig immer weitere Gegner niederstrecken, ohne sich um die Munition Gedanken machen zu müssen. Aber er übersieht einen der verwundeten Männer, der am Boden entlangkriecht und ihm von hinten eine Kugel durch das Knie jagen kann. Mit tiefroter Blutspur zieht Mark sein kaputtes Bein hinter sich her, um dem Verräter direkt in den Kopf zu schießen.

Manchmal reicht eine einzelne Szene aus, um zu zeigen, wie die beteiligten Personen die Filmgeschichte nachhaltig verändert haben. Das brutale und doch so sorgfältig choreographierte Schußwaffenballett der oben beschriebenen Sequenz ist eine davon: Die Gewalt ist hart und dreckig und doch mit perfektem Timing und einer Dynamik aus Zeitlupen und ganz schnellen Aktionen virtuos stilisiert; das Bild des in den beiden Händen bewaffneten Mark wirkt wie eine Ikone tödlicher Coolness; und mit ihrer thematischen Einbindung in ein Drama um Freundschaft, Rache und Verrat ist die Szene noch dazu emotional packend. Vor dem 1986 erschienenen A BETTER TOMORROW war John Woo ein wenig beachteter Regisseur von Kung-Fu-Streifen und Komödien, sein Star Chow Yun-Fat ein belächelter Seifenoper-Schönling. Nur wenig später war Woo Hongkongs wohl bekanntester Regisseur und die große Actionhoffnung der Kinowelt, Chow ein vielbeschäftigter asiatischer Megastar, und der Film ein Startschuß für ein Genre, das später"Heroic Bloodshed" getauft wurde, und Wegbereiter für die zweite große Hong-Kong-Welle im Rest der Welt.

Zwei Brüder, zwei Seiten des Gesetzes: Kit (Leslie Cheung, links) und Ho (Ti Lung).
Es ist vielleicht heute, wie bei allen immens einflußreichen Werken, nicht mehr auf Anhieb ersichtlich, was damals so außergewöhnlich an Woos Inszenierung war - zu oft wurde sein Stil mittlerweile zitiert, kopiert, übertrumpft und adaptiert. Quentin Tarantino war wohl der erste westliche Filmemacher, der sich hemmungslos bei Woo bediente; später fingen auch andere US-Regisseure an, diese hochstilisierte Action zu übernehmen. Um es plakativ, aber nicht ganz falsch zu sagen: Ohne Woo kein RESERVOIR DOGS, kein DESPERADO, kein TOMORROW NEVER DIES und keine MATRIX.

(Freilich war war Woo in seinem Heimatland nicht ganz alleine: Mitte der Achtziger fanden sich dort einige Filmemacher, die neue Wege fanden, die Kinetik der Leinwand hochzuschrauben - zum Beispiel Tsui Hark, der mit ganz entfesselter Kamera arbeitete und schon mit PEKING OPERA BLUES auf sich und das neue Hongkong-Kino aufmerksam gemacht hatte - und wohl nicht zufällig als Produzent von A BETTER TOMORROW fungierte -, oder der Actionchoreograph Ching Siu-Tung, dessen Fantasytrip A CHINESE GHOST STORY - ebenfalls von Tsui produziert - mit so viel visueller Energie erzählt war, daß es wie Magie anmutete. Als vierter im Bunde mag noch Ringo Lam gelten, dessen CITY ON FIRE sich merklich in Tarantinos Debüt eingenistet hat.)

Ho (Ti Lung, links) sucht vergeblich Vergebung bei seinem Bruder Kit (Leslie Cheung).
Der Grund aber, warum A BETTER TOMORROW - in der deutschen Fassung mutierte der Titel zum kernigeren, aber sinnfreien CITY WOLF - so einschlug und heute als Klassiker über all seinen Derivaten thront, ist die Tatsache, daß Woo sein Action-Feuerwerk in ein packendes Drama einbaut. Tatsächlich gibt es nur fünf Actionszenen in dem Film, und die fungieren als Zuspitzung der Story, die mit manchmal opernhafter Dramatik die Geschichte zweier Brüder erzählt - Kit, dem jüngeren, einem Polizisten, und Ho, dem älteren, einem Triadenmitglied. Ho will seinem Vater zuliebe sein Leben ändern, wird aber bei seinem letzten Auftrag verraten und wandert ins Gefängnis. Kit ist schockiert, als er erfährt, daß der Bruder, zu dem er aufgeblickt hat, ein Verbrecher ist - und als im Zuge des Verrats auch der Vater ermordet wird, kann Kit seinem Bruder nicht mehr verzeihen. Nach drei Jahren kommt Ho aus dem Gefängnis und versucht vergeblich, seinen Bruder von seinem Lebenswandel zu überzeugen - während er immer wieder in die Auseinandersetzungen mit dem neuen Triadenchef hineingezogen wird, der ihn damals verriet und dem Kit mittlerweile auf den Fersen ist.

Es mutet beinahe wie ein klassischer Stoff an, wie hier mit gewichtigen Themen operiert wird: Es geht um Ehre, Freundschaft und Familie, um Loyalität und Verrat, um Fehltritte und Vergebung. Daß daraus kein Kitsch wird, liegt zum großen Teil an den sorgfältig gezeichneten Charakteren, die mit guten Gründen agieren - das Drama entsteht nicht, weil es über sie gestülpt wird, sondern weil es wie in der klassischen Tragödie aus ihrer Konstellation heraus entwachsen muß. Woo läßt seine Figuren tief fallen: Aus dem naiven, unschuldigen Polizeianwärter Kit wird ein besessener Kämpfer gegen das Verbrechen, der seinem Bruder so wenig verzeihen kann, daß er ihn sogar selber verhaften will; aus dem angesehenen Gangster Ho wird ein verstoßener Ex-Sträfling, der froh sein muß, daß er als Taxifahrer Geld verdienen kann; und aus Mark, Hos bestem Freund, wird ein armer Krüppel, der den Triadenchefs das Auto putzt und das Geld dafür vom Boden aufheben muß.

Mark (Chow Yun-Fat) will sich seinen Platz in der Welt zurückerobern.
Die Action entwickelt sich organisch aus der Handlung heraus: Marks eingängig zitierter Rachefeldzug hat deswegen Gewicht, weil er ihn aus Loyalität zu seinem verratenen Freund Ho begeht und selber keinen Gewinn davonträgt - im Gegenteil, er riskiert die Selbstaufopferung und wird zum Invaliden geschossen. Und wo im Ballett Pirouetten gedreht werden und die Oper mit mächtigem Orchester und eindringlichen Arien ihr Drama zuspitzt, läßt Woo eben die Pistolen tanzen und das Blut kraftvoll die Szenerie einfärben.

Wenn wir vorhin schon von Einflüssen geredet haben, müssen wir fairerweise das Netzwerk auch in die andere Richtung aufdröseln: nämlich in Blickrichtung zu den Regisseuren und Filmen, die in A BETTER TOMORROW ihre Spuren hinterlassen haben. Im Prinzip ist es nur fair, daß Woos Stil später nach Hollywood wanderte - er selber ist nämlich hochgradig von Westernregisseur Sam Peckinpah beeinflußt, dessen Zeitlupenästhetik und ästhetisierte Gewalt hier deutlich durchscheinen. Auch die Gangsterromantik eines Martin Scorsese ist nicht weit, wenn die Triadenmitglieder als Helden unserer Geschichte fungieren und das schöne Leben genießen, bevor es gewaltvoll endet. Überhaupt merkt man eine Liebe zum Gangsterkino, ob für die alten James-Cagney-Streifen und ihre charismatischen Gesetzesbrecher oder für Jean-Pierre Melvilles DER EISKALTE ENGEL, aus dem Woo Alain Delons Look für den von Chow Yun-Fat übernahm.

Mark (Chow Yun-Fat, links) und Ho (Ti Lung, Mitte) im Streit mit Kit (Leslie Cheung).
Nicht nur für den Actionvirtuosen Woo und den lässigen Todesengel Chow war A BETTER TOMORROW der Durchbruch. Auch der sensibel wirkende Leslie Cheung spielte sich als junger Kit in die Star-Riege Hong Kongs. Cheung war schon als Kantopop-Sänger berühmt und hatte auch in einigen Filmen mitgespielt, aber erst nach A BETTER TOMORROW rückte seine Schauspielkarriere in den Vordergrund. Er spielte die Hauptrolle in dem schon erwähnten A CHINESE GHOST STORY und war später auch in Arthouse-Filmen wie HAPPY TOGETHER von Wong Kar-Wei und LEBEWOHL, MEINE KONKUBINE von Chen Kaige zu sehen, bevor er sich tragischerweise 2003 im Alter von nur 46 Jahren aufgrund von Depressionen das Leben nahm.

Rückblickend betrachtet ist der spannendste Schauspieler im Ensemble aber eigentlich Ti Lung, der den älteren Bruder Ho spielt. Ti war schon Anfang der Siebziger als Star in diversen Shaw-Brothers-Produktionen wie Chang Chehs DAS SCHWERT DES GELBEN TIGERS zu Ruhm gekommen, befand sich aber in den Achtzigern in einem Karrieretief, bevor ihm Woos Film wieder Aufwind gab. Vielleicht gab Ti seiner Rolle ein wenig eigene Erfahrung mit - wie Ti selber zu diesem Zeitpunkt ist Ho jemand, der viel bessere und glanzvollere Zeiten erlebt hat und nun um Respekt kämpfen muß. So oder so hält er den Film als Zentrum zwischen dem coolen Chow und dem naiven Hitzkopf Cheung emotional zusammen: Schon seine Augen sprechen Bände in der Szene, in der er Stolz und Schmerz herunterschlucken muß, weil sein Bruder von ihm fordert, mit "Sir" angesprochen zu werden.

Ho (Ti Lung) bereut seine Vergangenheit, der er nicht so leicht entfliehen kann.
Bezeichnend für die Themen, zu denen Woo immer wieder zurückkehren sollte, ist der chinesische Originaltitel, der sich in etwa mit den Worten "Das wahre Wesen eines Helden"übersetzen läßt. Es mag zynisch erscheinen, Killer und Gangster als Helden zu bezeichnen - aber es steckt eine im Kern ganz optimistische und zutiefst menschliche Sicht dahinter: Woos Figuren sind alles andere als makellos, und sie machen Fehler. Der bessere nächste Tag des englischen Titels bleibt für sie unsicher, weil die Vergangenheit sich nicht einfach abstreifen läßt - aber sie haben Werte, nach denen sie leben wollen, und sie können ihr eigenes Wohl diesen Werten unterordnen.

Woo ließ dem Film eine überflüssige und uneinheitliche Fortsetzung folgen, bevor er mit dem meisterhaft stilisierten THE KILLER, dem bitteren BULLET IN THE HEAD und dem wahnwitzigen HARD BOILED seinen Ruf als Erneuerer des Actiongenres festigen konnte und dann nach Hollywood eingeladen wurde, wo er das Versprechen dieser vier Filme nur einmal beinahe einlösen konnte - mit dem Over-the-Top-Duell Travolta vs. Cage in der Actionoper FACE/OFF. Seine Kompromißlosigkeit konnte er aber in Amerika nie ausspielen, und an die emotionale Intensität seiner Hong-Kong-Filme kam er nicht annäherend heran. Es war nicht Woos Schuld: Den anderen chinesischen Filmemachern erging es ähnlich, und die filmische Revolution, die sich am Horizont abzeichnete, versickerte um die Jahrtausendwende herum in China wie in Amerika in inszenatorischem Leistungssport und erzählerischer Stagnation.

Das Wissen um die Ernüchterung, die irgendwann folgen sollte, ändert nichts an den Qualitäten dieses Films. A BETTER TOMORROW ist nach wie vor ein packendes, intensives Drama, dessen präzise choreographierten Gewalteruptionen noch immer Kraft haben, dessen stilistische Sicherheit noch immer Anziehungskraft besitzt. Der Film pulsiert voller Leben.




City Wolf (Hongkong 1986)
Englischer Titel: A Better Tomorrow
Regie: John Woo
Buch: Chan Hing Kai, Leung Suk Wah, John Woo
Kamera: Wong Wing Hang
Musik: Joseph Koo
Produktion: John Woo, Tsui Hark
Darsteller: Ti Lung, Chow Yun-Fat, Leslie Cheung, Emily Chu, Lee Chi Hung, John Woo, Kenneth Tsang

Alle Screenshots wurden von der DVD (C) 2001 Laser Paradise genommen.

Schaum und Stereotypen: WIE WERDE ICH IHN LOS - IN 10 TAGEN

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In der Rubrik "Wunschkonzert" bespreche ich jeden Monat einen Film, der von einem meiner Patreon-Unterstützer vorgeschlagen wurde.


Journalistin Andie Anderson schreibt für das Cosmopolitan-hafte Frauenmagazin Composure sensationell beliebte Ratgeber-Artikel: "Wie kriege ich einen schöneren Körper in 5 Tagen?", "Wie richte ich mein Apartment nach Feng Shui aus?" und "Wie schreibe ich eine völlig unglaubwürdige Romantic Comedy mit strunzdummen Figuren und plattem Plot?" Ah, Moment – ich glaube, ich bilde mir nur ein, daß der letzte Artikel tatsächlich gezeigt wurde.

Dabei wäre Andie doch viel lieber eine ernsthafte Autorin! "Ich will über Themen schreiben, die wichtig sind: Politik und Umwelt und Außenpolitik", protestiert sie. Vergeblich versucht sie, in ihre Kolumne einen Artikel über den zentralasiatischen Binnenstaat Tadschikistan zu schmuggeln – Titel: "How To: Bring Peace to Tajikistan".

Kate Hudson und Matthew McConaughey - vielleicht bei der Premiere ihres eigenen Films.

Lesen wir doch mal kurz rein, was da auf ihrem Monitor zu sehen ist: "[…] Tajikistan needs further economic and political reforms, a strong sense of nationhood and a just human rights system. When these elements finally fall into place, only then will the people of Tajikistan know true and lasting peace." Meine Güte, diese brandheißen Reformdirektiven sollten unverzüglich der tadschikischen Regierung zugespielt werden! Fassen wir noch kurz zusammen, was Andie im Laufe der Geschichte über die wichtigen Themen Politik, Umwelt und Außenpolitik sagt und wie sie sich dahingehend engagiert:



Ach, so viel war es wohl doch nicht. Weil Composure keine derartigen heißen Eisen anfassen möchte, wird Andie also zu einer ihren üblichen Kolumnen verdonnert. Thema diesmal: "Wie werde ich ihn los – in 10 Tagen". Eine Art umgekehrter Ratgeber, in dem die typischen Fehler der Frauen aufs Korn genommen werden, wenn es darum geht, einen frisch kennengelernten feschen Joshi nicht auch gleich wieder zu verschrecken.

Weil Composure seine Ratgeber-Kolumnen offenkundig sehr ernst nimmt, muß Andie dazu tatsächlich einen Mann aufreißen und dann innerhalb von zehn Tagen mit typisch weiblichem Fehlverhalten wieder verscheuchen. Ihr oder ihren Kolleginnen kommt zu keiner Sekunde der Gedanke, man könnte einen solchen Text auch einfach ohne tatsächliches Sozialexperiment schreiben – einfach mal so, aus dem Kopf heraus. Nachdem Recherchearbeit ja typischerweise von Redaktionen bezahlt werden muss, darf übrigens davon ausgegangen werden, daß sich Composure in der Auflagenhöhe eines Mount Everest verkauft.

Benjamin (Matthew McConaughey) und Andie (Kate Hudson).

Unser armes Opfer hat aber momentan allen Grund, an seiner Eroberung festzuhalten: Werbefachmann Benjamin Berry kämpft um den Auftrag für eine hochdotierte Diamantschmuck-Kampagne. Der Auftraggeber ist überzeugt, daß die Frauen von der Konkurrenz geeigneter für den Job wären, weil die Zielgruppe ja ebenso Frauen sind. Es ist feministisch gesehen höchst progressiv von ihm, anzunehmen, daß nicht etwa auch das eine oder andere Stück von einem Mann für seine Herzallerliebste gekauft werden könnte.

So muß sich Benjamin also auf eine Wette einlassen: Wenn er es innerhalb von 10 Tagen schafft, daß eine Frau sich ernsthaft in ihn verliebt, kriegt er den Auftrag. Wenn nicht, kriegen ihn die Mädels von der Konkurrenz (die im Gegenzug keine Leistung zum Ergattern des Auftrags bringen müssen). Weil die beiden Frauen Wind gekriegt haben von Andies nächster Kolumne, setzen sie ihn auf die Kolumnistin an. Voila, das Konzept hat sich zusammengefügt: Sie versucht ihn um jeden Preis loszuwerden, er versucht sie um jeden Preis zu halten, und beide verzweifeln am Verhalten des anderen.

Daraus könnte ein amüsantes Spiel mit Geschlechterklischees entstehen – und wahrscheinlich hatten die Macher auch exakt das im Kopf, wenn Andie ihren Benjamin zu einem Frauenfilm-Marathon schleppt, in ein Celine-Dion-Konzert zerrt, aus heiterem Himmel launisch und eifersüchtig wird und nur Tage nach dem Kennenlernen seine Wohnung umdekoriert und von Heirat und Kindern spricht. Tatsächlich ist es aber nur eine ermüdende Abfolge von Szenen, in denen sie sich immer unmöglicher aufführt und er das alles erdulden darf. Damit man auch mitkriegt, daß hier Klischees vorgeführt werden, muß Andie auch stets derart maßlos aufdrehen, Grimassen schneiden, in Babysprache reden und das Terrorweib geben, daß Daisy Duck dagegen wie eine glaubwürdige Frau wirkt.

Tröste dich, Benjamin: Es hätte auch ein Helene-Fischer-Konzert sein können.

Es gibt unzählige Varianten, wie diese Konstellation reizvoller ausgelotet hätte werden können: Wie wäre es beispielsweise, wenn Andie an einen Burschen geraten würde, der tatsächlich gerne auf ein Celine-Dion-Konzert geht und sich unbedingt SCHLAFLOS IN SEATTLE ansehen will? Der von sich aus schon von Familie redet, was ihr dann viel zu schnell wäre? Da würden wenigstens Stereotypen auch durchbrochen werden, es würde Reibung zwischen Klischees und Erwartungen geben, anstatt nur Allgemeinplätze wiederzukäuen. Und wenn es schon um Geschlechterverhalten geht, warum darf dann Benjamin nicht ebenso aufdrehen wie Andie? Warum beschränkt sich der einseitige Witz stets darauf, daß sie sich wie die Psychopathen-Freundin verhält und er das zähneknirschend aushalten muß?

Man muß es Kate Hudson und Matthew McConaughey lassen: Sie sind immens charmante Schauspieler, die es irgendwie schaffen, das Prozedere zu einem luftigen, ansehbaren Schaum zu machen, bei dem man nicht eine Sekunde lang darüber nachdenkt, daß man hier eigentlich zwei recht beschränkten Menschen dabei zusieht, wie sie sich für ihre Arbeit prostituieren. Vielleicht liegt das aber auch daran, daß sich hier ohnehin niemand glaubwürdig als Mensch verhält – weshalb auch zum Schluß beide empört und verletzt über ihre gegenseitigen Wetten sein dürfen und sich in ein hochdramatisches, uraufrichtiges Finale stürzen dürfen.

Am Ende wird freilich alles gut: Die beiden kriegen sich und blicken in eine gemeinsame hohle Zukunft. Er erhält den Werbeauftrag, sie kündigt bei Composure, um endlich über Politik, Umwelt und Außenpolitik schreiben zu können. Und wenn das nichts wird, kann sie ja vielleicht Filmkritiken verfassen. Mein Vorschlag wäre eine zu diesem hier: "Wie steh ich das durch – in zwei Stunden?"



Wer auch Filme für die Rubrik "Wunschkonzert" vorschlagen möchte, kann sich auf Patreon beteiligen: www.patreon.com/wilsonsdachboden.



Wie werde ich ihn los - in 10 Tagen (USA 2003)
Originaltitel: How to Lose a Guy in 10 Days
Regie: Donald Petrie
Buch: Kristen Buckley, Brian Regan, Burr Steers
Kamera: John Bailey
Musik: David Newman
Darsteller: Matthew McConaughey, Kate Hudson, Adam Goldberg, Thomas Lennon, Kathryn Hahn, Michael Michele, Shalom Harlow, Bebe Neuwirth, Marvin Hamlisch

Alle Screenshots wurden von der DVD (C) Paramount genommen.

FLESH GORDON: Zoten und Zeitgeist

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Sexstrahlen, ein Planet namens Porno, ein Raumschiff in Penisform: Herzlich willkommen bei FLESH GORDON, einer Softsex-Parodie der alten FLASH-GORDON-Weltraumabenteuer. Mit bizarren Ideen, schlüpfrigem Witz, schnodderiger Machart und erstaunlich liebevoll gemachten Effekten wurde der kleine Independent-Film 1974 zu einem veritablen Hit, der im Zuge der frühen Pornowelle als billige Parodie begann und sich bald zum Kultfilm mauserte.

Der Startschuss für den Film war gegeben, als sich die Pornoproduzenten Howard Ziehm und Bill Osco mit ihrer Firma Graffitti (ja, mit zwei "t") an ein etwas ambitionierteres Projekt wagen wollten: Nachdem sie 1970 mit MONA, dem ersten im Kino vertriebenen Hardcore-Langfilm, die Nase bei der sexuellen Kinorevolution ganz vorn hatten und mit zahlreichen "Loops" und mittellangen Sexfilmen ordentlich Kohle scheffeln konnten, entspannen sie die Idee zu einem Porno, der gleichzeitig als Science-Fiction-Parodie funktionieren sollte.

Imperator Wang (William Dennis Hunt) wurde wahnsinnig,
als ein empfindsames Körperstück einer Venusfliegenfalle zum Opfer fiel ...

Die Geschichte lehnt sich eng an die alten FLASH-GORDON-Geschichten an, die in den Dreißigern als Comic ihr Leben begonnen und dann mit Buster Crabbe als "Serials", episodisch vertriebene Filme, auf die Leinwand kamen – nur daß hier jedes Element mit Sex verknüpft wurde: Der böse Imperator Wang ("Wang" bedeutet "Schwanz") schießt teuflische Sexstrahlen auf die Erde, weshalb die Bürger in unkontrollierte Orgien verfallen. Also muß Superheld Flesh Gordon ("Flesh", das nackte Fleisch, anstelle von "Flash") zusammen mit seiner Freundin Dale Ardor und dem Wissenschaftler Dr. Flexi Jerkoff ("jerk off" = "wixen") auf den Planeten Porno fliegen, um dort Wangs Pläne zu durchkreuzen. Dabei treffen sie nicht nur auf lesbische Amazonen und die nymphomane Königin Amora, sondern auch auf verschiedene Monster – wie beispielsweise einen einäugigen "Penisaurus"…

Das mit mageren $25.000 budgetierte Projekt sollte zunächst so entstehen, wie auch MONA und die anderen Graffitti-Streifen gemacht wurden: Ziehm bediente die Kamera und inszenierte die Sexszenen, Regisseur Michael Benveniste (der auch das Drehbuch zu FLESH GORDON schrieb) kümmerte sich um die Handlung drumherum. Bald schon zeichneten sich aber unzählige Probleme am Horizont ab. Die Effektarbeit war viel aufwendiger als zunächst gedacht, zögerte das Projekt heraus und trieb die Kosten letztlich auf $500.000. Benveniste wurde, nachdem er monatelang einen unbrauchbaren Rohschnitt zusammenzimmerte, wegen Inkompetenz gefeuert, wonach Ziehm komplett das Ruder übernahm. Produzent Osco wirtschaftete offenbar in die eigene Tasche und bekam Schwierigkeiten mit der Steuer, weswegen sich Ziehm von ihm trennte.

Ein Monster im King-Kong-Modus ...
nur daß dieses hier lautstark darüber nachdenkt, wie Dale wohl in schwarzer Reizwäsche aussehen könnte.

Aufgrund der Größe des Projekts entschloss sich Ziehm irgendwann, den Film nicht mehr für die Porno-Kinogänger zu machen, sondern für ein breiteres Publikum – eine Entscheidung, die sicherlich dadurch begünstigt wurde, daß die Polizei das Material beschlagnahmte und Ziehm die expliziten Sexszenen herausschneiden mußte. Bei einer solchen Entstehungsgeschichte ist es ein Wunder, daß der Film überhaupt fertiggestellt werden konnte – zumal sich manche Aufnahmen als technisch mangelhaft herausstellten und im Zuge der Polizeiaktion auch manche Negative verlorengingen, weshalb in einigen Szenen auf unvorteilhafte Einstellungen der zweiten Kamera zurückgegriffen werden mußte.

Die holprige Machart trägt aber ihren Teil zum Charme des fertigen Films bei: Gerade weil die Sache so handgemacht aussieht, gerade weil hier kaum etwas professionell aufgezogen wurde, wirkt diese filmische Zote wie ein gelungener Streich gegen das glattpolierte Hollywood und seine makellos kühlen Superheldengeschichten. Bei FLESH GORDON sind die Kulissen erkennbar billig, die Farben beißen im Auge, mitunter ist zu wenig Licht da oder die Einstellungen sind wie in einem Studentenfilm zusammengepuzzelt – aber weil es sich um eine Parodie handelt, kommen die Defizite dem Witz eigentlich zugute.

Solche Schiffe zeigen die nie in den offiziellen NASA-Berichten!

Der Humor ist freilich auf ganz schlüpfrigem Pennälerniveau. Jerkoffs Raumschiff hat die Form eines Penis, Imperator Wang trägt zur Zwangshochzeit mit Dale Ardor gleich selber das Brautkleid, und unsere Helden werden an einer Stelle von hilflos herumstolpernden Blechgesellen angegriffen, die zwischen den Beinen mit einem langen, spitzen Bohrer ausgestattet sind – "rapist robots". Wenn jemand hinfällt, ertönt gerne ein Geräusch wie in einem Zeichentrickfilm – ebenso bei der Begutachtung diverser Oberweiten und nackter Popos. Man kann die Macher hinter jeder Zote kichern sehen.

Nun ist die Geschmacklosigkeit des Films aber kein kommerzielles Kalkül, sondern entspringt tatsächlich einem gewaltig schrägen Sinn für Humor. Man merkt es daran, daß Ziehm, Osco und Benveniste kein Schmäh zu blöd ist – selbst, wenn es nicht um Sex geht: Das Raumschiff wird wie ein Auto mit einem Zündschlüssel gestartet, an dem ein VW-Schlüsselanhänger prangt. Beim Betreten des Planeten Porno atmet Dr. Jerkoff tief ein und verkündet dann: "Good. There is oxygen on this planet". Und an einer Stelle übertölpelt Jerkoff eine Wache, indem er ihn bittet, diverse Gegenstände zu halten, bis der gute Junge keine Hand mehr frei hat und Jerkoff seine Waffe klauen kann. Gleichzeitig setzt er sich eine Gasmaske auf – weil die herunterfallenden Gegenstände in einer chemischen Reaktion giftigen Rauch entwickeln, der die Wache außer Schach setzt!

Was genau kann einem ein Penisaurus eigentlich antun? Oder will ich das gar nicht wissen?

Ganz nebenbei ist der Witz des Films aber natürlich auch Zeitgeist. Es ist die antiautoritäre Haltung der Achtundsechziger, die hier durchscheint – nichts ist heilig, jeder Regelbruch ist erlaubt. Außerdem rückte die Pornographie seit 1972 für kurze Zeit ins Mainstream-Bewußtsein: Nach DEEP THROAT galt es für kurze Zeit als chic, sich mit entsprechender Ware auseinanderzusetzen – also ist es nur recht und billig, daß hier das Schmuddelige und anderswo Anrüchige mit Wonne gefeiert wird.

Wobei es interessant ist, daß gerade die über die Erde hereinbrechenden Sexstrahlen die Gefahr für unsere Spezies darstellen. Der kollektive Sexwahn, in den die Menschen bei der Begegnung mit Wangs Strahlen verfallen, erinnert ja an eben jene Sexwelle, die seit den späten Sechzigern auch ins Kino spülte. Aber obwohl hier ein aufrechter Bürger peinlich berührt kichern darf, wenn das Wort "Erektion" fällt, und Wang aus eigener Impotenz anderen die Lust zerstören will, haben Ziehm & Co. kaum die Absicht, satirisch Gesellschaft oder Zeitgeist zu kommentieren – es ist halt einfach alles auf Sex getrimmt, ohne tieferen Hintergedanken. Es mutet geradezu merkwürdig an, daß jegliche sexuelle Aktivität hier stets unter Zwang stattfindet oder sonstwie unangenehm konnotiert ist – aber schon in MONA war der Sex ja durch die Bank mit Tabubrüchen verbunden.

Ein mechanischer Käfermensch tritt gegen Flesh an.

Zu seinem Kuriositätenstatus verhalfen FLESH GORDON aber auch seine Spezialeffekte. Zum Effektteam gehörten unzählige junge Künstler, die es später weit bringen sollten: Mike Minor (später u.a. der Art Direction von STAR TREK II – DER ZORN DES KHAN), Rick Baker (später sieben Oscars und Arbeit u.a. an HELLBOY oder Michael Jacksons THRILLER-Video), Dennis Muren (später neun Oscars, u.a. für TERMINATOR 2 und JURASSIC PARK) und Greg Jein (später u.a. Modelle für UNHEIMLICHE BEGEGNUNG DER DRITTEN ART und STAR TREK – DER FILM) arbeiteten an dem Projekt mit, ebenso wie Stop-Motion-Profi Jim Danforth (ALS DINOSAURIER DIE ERDE BEHERRSCHTEN). Ihre Arbeit für den Film läßt das geringe Budget durchscheinen, ist aber immens kreativ und liebevoll gestaltet – alleine Fleshs Kampf gegen einen animierten Roboterkäfer ist eine bemerkenswerte tricktechnische Leistung.

FLESH GORDON mag albern sein, er mag zotig sein oder notdürftig zusammengeschustert. Er mag auch streckenweise langatmig sein – vor allem, wenn die Musik beständig donnert und klimpert, während der Erzählfluss hilflos herumstolpert. Der Streifen ist aber definitiv auch eins: einzigartig. Es ist ein Film, der sich etwas traut, der aus allen Schemata herausfällt und von einer Liebe zur Materie und einer Begeisterung für das Kuriose durchtränkt ist. Und zum Schluss wird er dann – wie so vieles hier halb zufällig getroffen – doch noch politisch: "The Universe", sagt da der schwule Prinz Precious, "is once again safe for democracy and freedom. And the right of all to happiness, each to his own personal religious convictions." Da wünscht man sich doch fast, Flesh Gordon würde uns auch mal im 21. Jahrhundert besuchen.


Mehr Ziehm auf Wilsons Dachboden:
COP KILLERS
TAKE YOUR SHAME AND SHOVE IT (Autobiographie)




Flesh Gordon (USA 1974)
Regie: Michael Benveniste, Howard Ziehm
Buch: Michael Benveniste
Produktion: Howard Ziehm, William Osco
Kamera: Howard Ziehm
Musik: Ralph Ferraro
Darsteller: Jason Williams, Suzanne Fields, Joseph Hudgins, William Hunt, Candy Samples

PROTECT AND KILL: Ein aufrechter Ex-Cop löst das Bandenproblem von L.A.

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Stellen wir uns mal den Film BODYGUARD ohne Geld und ohne Stars vor. Dann stellen wir uns vor, daß Drogendealer und Mafiosi mitspielen. Stellen wir uns weiters vor, dass Whitney Houstons steinerweichende Ballade durch ein möglichst anonymes Synth-Pop-Epos ausgetauscht wird. Und dann stellen wir uns noch vor, dass alles, was jemandem am Resultat abgehen könnte, durch Blei und in Zeitlupe niedergemähte Rabauken ausgeglichen wird. Et voilà, das ergibt L.A. WARS, der bei uns den dezent neudeutsch anmutenden Titel PROTECT AND KILL verpaßt bekam.

Los Angeles ist in dieser anheimelnden Videothekenwelt ein eher darwinistisches Pflaster. Drogenlord Raul Guzman führt eine umfassende Fehde gegen Mafioso Carlo Giovani, die darin besteht, daß die Helferlein des einen im Minutentakt die Helferlein des jeweils anderen mit Blei vollpumpen. Weil in diesem Krieg auch Guzmans Neffe fällt, artet die Streitigkeit zunehmend aus. Wir sehen, daß Guzman schwer getroffen ist: Er haut in tief empfundenem Schmerz auf den Tisch und verkündet, es ab sofort richtig krachen zu lassen. Alleine dieser herzallerliebste Moment, in dem Guzman tatsächlich einen Moment lang so aussieht, als wolle er weinen, ist schon die 89 Minuten drumherum wert.

Wer in dieser Welt kein knallharter Gangster ist, ist ein knallharter Cop. Oder er war zumindest mal einer: Unser Held Jake Quinn ist nämlich originellerweise ein Einzelgänger, der wenig auf die unlockeren Vorschriften des Polizeiapparats gibt. Er wurde gefeuert, als er einen Päderasten auf frischer Tat ertappte und den Mann im aufrechten Zorn totschlug. Vielleicht wurde er aber auch gefeuert, weil er das nach wie vor für die einzig richtige Handlungsweise hält.

Der letzte aufrechte Kämpfer für das Gute, Wahre, Brutale: Jake Quinn (Vince Murdocco).

Weil der Bandenkrieg ausartet, muß Polizeichef Roark handeln. Er will Giovani dingfest machen und muss dafür einen Undercover-Cop einschleusen – und völlig überraschenderweise fällt die Wahl auf den aufrechten Draufgänger Quinn, der sich bis zum Schluß des Films um eine umfassende Entvölkerung von Los Angeles kümmern wird. Vorher hat er natürlich zwei Bedingungen: Erstens macht er das alles auf seine Art, und zweitens will er eine Entschädigung für die drei Jahre, die er durch den Jobverlust aus Rausschmeißer in einer Bar arbeiten mußte.

Eine Gelegenheit zum Undercovern ergibt sich zum Glück schon bald: Guzman will aus Rache für seinen Neffen die hübsche Tochter von Giovani beseitigen lassen – aber glücklicherweise marschiert unser einsamer Wolf gerade die Straße herunter und kann Guzmans Schurken fünf bis sieben Dutzend Kugeln in die Gangsterrübe pusten. Überhaupt werden wir lernen, dass der charaktervolle Quinn nur ein einziges Hobby hat: Straßen entlanggehen. Manchmal zu nachdenklicher Musik.

Giovani heuert Quinn also als Leibwächter für seine Tochter Carla an, was Giovanis rechter Hand Vinny Scoletti gar nicht paßt: Der hat es nämlich selber auf die hübsche Blondine abgesehen. Carla hat aber kein Interesse an Scoletti und macht schon am ersten Abend das, was Whitney Houston in BODYGUARD schier endlos herausgezögert hat: Sie kuschelt sich zu ihrem Leibwächter ins Bett. Am nächsten Tag genießen beide eine ausufernde Montage am Strand und schlürfen romantisch aus Pappbechern, bevor sie ihm sagt, daß sie ihn liebt. Recht so: Was man beim Anbandeln an Zeit spart, kann man in ausufernde Schießereien investieren.

"Schatz, die letzten sieben Dutzend erledige ich heute noch, dann können wir fernsehen."

Der Bandenkrieg bricht nämlich jetzt so richtig aus, und obwohl Quinn in seinen Ermittlungen keine brauchbaren Informationen an die Polizei liefern kann, sorgt er dafür, dass die Liste der noch lebenden Verdächtigen schön übersichtlich bleibt. Nachdem jede Kugel verschossen, jedes Auto in die Luft gesprengt, jeder Hilfshelfer beseitigt und jeder Fuß ins Gesicht der mannigfachen Gegner gekickboxt wurde, dürfte Ruhe in Los Angeles einkehren: Es ist zum Schluß schlichtweg niemand mehr da, dem man überhaupt Drogen verkaufen könnte.

Wie der schönste Schmuddelroman stürzt sich PROTECT AND KILL mit Wonne auf seine exzessiven, ganz und gar unkorrekten Aufräum-Phantasien. Mit Hingabe werden die zu Boden fallenden Körper gefilmt, im Zweifelsfall wird einfach noch eine Montage eingeschoben, in der noch mehr anonyme Schurken anderen Ganoven das Lebenslicht auspusten. Es gibt in dem Film beinahe niemanden, der nicht Gangster und somit Kanonenfutter wäre. Wer sich als Zivilist in diese Geschichte verirrt, ist ohnehin nur dazu da, verprügelt oder erschossen zu werden.

Richtig Spaß macht übrigens die deutsche Fassung: Da wird Soziopathen-Cop Jake Quinn von Oliver Rohrbeck synchronisiert. Es wirkt, als würde Justus Jonas von den Drei ??? endlich mal einen Fall ohne ständige Klugschwätzerei lösen.



Protect and Kill (USA 1993)
Originaltitel: L.A. Wars
Regie: Martin Morris & Tony Kandah
Buch: Addison Randall & Tony Kandah
Kamera: Mike Morris
Musik: Louis Febre
Darsteller: Vince Murdocco, Mary Zilba, A.J. Stephans, Rodrigo Obregon, David Gene Thomas, Johnny Venokur, Kerri Kasem

TAKE YOUR SHAME AND SHOVE IT: Die Memoiren von Porno-Pionier Howard Ziehm

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Der Name Howard Ziehm dürfte nur den interessiertesten Filmliebhabern ein Begriff sein – und das hauptsächlich für seine Science-Fiction-Sexparodie FLESH GORDON, der später noch das verwegene Sequel FLESH GORDON – SCHANDE DER GALAXIS folgte. Dabei ist Ziehm eigentlich ein Pionier – nur halt auf einem Gebiet, das öfter für pikierte Blicke als für filmhistorisches Interesse sorgt: Mit MONA drehte er 1970 den ersten Porno-Langfilm, der es ins Kino schaffte, und zusammen mit seinem Partner Bill Osco gehörte er in diesen jungen Jahren der Erwachsenenunterhaltung zu den umtriebigsten Filmemachern des neuen "Porno Chic". Eigentlich sollte um ihn genauso viel Wirbel gemacht werden wie um Gerard Damiano und dessen DEEP THROAT, der immerhin erst zwei Jahre nach MONA gedreht wurde.

Tatsächlich blieb Ziehm aber weitgehend unbekannt. 1981 drehte er mit NAUGHTY NETWORK seinen letzten Hardcore-Film und verließ die Branche. Er schaffte es weder, wie beispielsweise Wes Craven oder Abel Ferrara, den Sprung ins "richtige" Filmgeschäft zu vollziehen (weil er diesbezüglich einfach keine Ambitionen hegte), noch, wie zum Beispiel Radley Metzger, die nötige Anerkennung in einschlägigen Kreisen zu erhalten. Dabei könnte Ziehm in zahlreichen Dokumentationen rund um die Porno-Branche als umtriebiger "Schmuddel-Großvater der ersten Stunde" weitreichende Einblicke geben.

Mit dem eBook TAKE YOUR SHAME AND SHOVE IT veröffentlicht der mittlerweile 75-jährige Ziehm nun seine Autobiographie. Um den etwas sperrigen Titel auszuweiten, lautet der Untertitel MY WILD JOURNEY THROUGH THE MYSTERIOUS SEXUAL COSMOS. Darunter steht "The ribald memoir of Howard Ziehm – Maker of the revolutionary adult films FLESH GORDON and MONA THE VIRGIN NYMPH", und weil das noch nicht reicht, gibt ein zusätzlicher Textkasten noch das Motto des Buchs preis: "Being told that sex was dirty, just obsessed me to want to see more".

So umfangreich wie der Textanteil auf dem Cover fällt auch das Buch selber aus: Umgerechnet 614 Seiten umfassen die Erinnerungen. Da darf man sich als Leser auf eine lange Reise begeben: Es dauert sage und schreibe über 50 Kapitel (!), bis Ziehm überhaupt zum ersten Mal hinter der Kamera steht.

Das soll aber nicht heißen, daß es unendlich dauert, bis einmal etwas passiert in Ziehms Leben. Im Gegenteil: Es ist höchst spannend, wohin ihn Zufall und Zeitgeschehen immer wieder treiben. Er studierte eine Zeitlang am MIT und hätte Elektrotechniker werden können, dann trieb es ihn aber in die aufkeimende Gegenkultur-Szene von San Francisco, wo er bald Mitgründer eines Folk-Clubs namens The Casale wurde. Der war einige Jahre lang einer der beliebtesten Auftrittsorte im Land, und Ziehm kam dort unter anderem mit Bob Dylan und Janis Joplin in Kontakt.

Zur Pornographie kam Ziehm, der sich auch als Gelegenheitsjobber und sogar als (nicht sehr kompetenter, wie er selber zugibt) Drogenschmuggler verdingte, dann über viele Ecken und nun wirklich nicht aus Absicht. Zeitgeist und Gelegenheiten waren einfach da: Im Zuge der sexuellen Revolution wuchs in den Sechzigern das Interesse an erotischen Darstellungen, während die Gesetzeslage (in sehr kleinen Schritten) liberaler wurde. Ziehm stellte fest, daß er mit Nacktphotos Geld machen konnte – erst vor der Kamera, dann dahinter – und machte dann den Schritt zu kleinen Kurzfilmen, den sogenannten "Loops", die nach und nach expliziter wurden.

Damit ist TAKE YOUR SHAME AND SHOVE IT zu einem großen Teil ein Porträt eines Zeitabschnittes: Auch wenn weder Masterplan noch gezielte Ambitionen dahintersteckten, befand sich Ziehm mitten in einem gesellschaftlichen Umbruch, der weitflächige Veränderungen nach sich zog. Gegen die prüde Moral der Vorgeneration trat plötzlich eine Bewegung, die in ihrer Direktheit und Offenheit sehr vehement das ans Tageslicht zerrte, was bislang totgeschwiegen wurde. Vergessen wir nicht, daß es eine kurze Zeitlang als schick galt, sich pornographischen Filmen zu widmen – und daß sich daraus eine millionenschwere Industrie entwickelte.

Ein wenig stolpert Ziehm wie ein Chaplinesker Tramp durch diese Zeit – schwerlich so unschuldig im Herzen, aber immer auf der Suche nach Gelegenheiten, immer ohne bösen Gedanken aus unglücklichen Umständen in die nächste Bredouille rutschend. Der angesprochene Kampf gegen die vorherrschende Moral bildet dabei den roten Faden seiner Erzählung: Immer wieder gerät Ziehm in Konflikt mit dem, was als "anständig" gilt – und das nicht nur, wenn er als Sexfilmer auftritt, sondern auch schon, wenn er sich nur offen für Sexualität interessiert.

Tatsächlich machte Ziehm die Staatsgewalt das Leben ziemlich schwer – unter anderem wurde die ursprünglich als expliziter Film vorgesehene Parodie FLESH GORDON von der Polizei beschlagnahmt, und Ziehm mußte schwer darum kämpfen, seine Negative zumindest teilweise zurückzubekommen. Weil er immens viel Geld in den Film gesteckt hatte, hatte die Polizei die Hoffnung, daß er in Konkurs gehen und damit von der Bildfläche verschwinden würde. Völlig absurd war eine andere Aktion, in der eher wegen einer "Verschwörung zum Oralsex" angeklagt wurde. Oh ja, Oralsex war in vielen amerikanischen Staaten eine Straftat, und da er als Regisseur anderen Instruktionen gab, wurde er als Anstifter gesehen (was weitaus höhere Strafen nach sich gezogen hätte).

Auch wenn hier die unglamouröse Seite der Filmwelt beleuchtet wird: Was die finanzielle Seite angeht, ist TAKE YOUR SHAME AND SHOVE IT nicht allzu weit von anderen Hollywood-Berichten entfernt. Wo viel Geld zu holen ist, regiert eben auch die Gier – weshalb Ziehm, der sich für das Geschäftliche kaum interessiert, immer wieder über den Tisch gezogen wird. Beispielsweise vom Ägypter Farouk Agrama, der die Europarechte an FLESH GORDON für weitaus mehr verkauft, als er Ziehm wissen läßt. Oder von Ziehms Weggefährte Bill Osco, der viel Geld in die eigene Tasche fließen ließ und stets einen guten Grund dafür angeben konnte, warum er sich einen Rolls-Royce leisten kann, während die Firma im Zuge der FLESH-GORDON-Konfiszierung fast pleite ist.

Ziehm erzählt in lockerem Plauderstil und hat hunderte von Anekdoten auf Lager, darunter freilich zahlreiche pikante Intermezzi – ein wenig wirkt er wie der schräge Onkel, der in ausgelassener Herrenrunde Schlüpfrigkeiten berichtet. Nicht nur aufgrund der vielen Tippfehler wäre allerdings ein guter Lektor Gold wert gewesen: Die Sexgeschichten nehmen irgendwann überhand und hätten um einiges gestrafft werden können. Aber die Ausführlichkeit und die "Ich hab' noch einen auf Lager"-Erzählweise ist wohl zu erwarten von jemandem, der in einer Branche arbeitete, wo weniger nie mehr sein kann.

Wir wollen uns aber nicht beschweren: Bis vor kurzem war die Informationslage zu Ziehm noch sehr überschaubar, und es ist herrlich, seine salopp verfaßten Einblicke in einen Filmbereich lesen zu können, über den man sonst fast nichts erfahren hätte. Wäre es gierig, jetzt auch noch die Geschichte von Bill Osco hören zu wollen?


Mehr Ziehm auf Wilsons Dachboden:
COP KILLERS
FLESH GORDON




COP KILLERS: Ein leerer Amoklauf durch Amerika

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Eigentlich sollte es ein entspannter Deal werden: Einen Koffer mit Drogen abholen und über die Grenze schmuggeln, Geld dafür in Empfang nehmen, das schöne Leben genießen. Aber gleich nach der Übergabe geht alles schief: Die Polizei will die beiden Gauner Ray und Alex einkassieren, aus Panik entsteht eine Schießerei, und schon haben die beiden vier Polizisten auf dem Gewissen. Es ist nur der Auftakt für eine lange, gewalttätige Reise durch das Land …

Als sich die Fertigstellung ihrer Science-Fiction-Parodie FLESH GORDON in die Länge zog und dank der ausufernden Spezialeffekte mehr und mehr Kosten verursachte – ganz zu schweigen von den Schwierigkeiten mit dem Gesetz, weil sie pornographische Filme produzierten – beschlossen die beiden Produzenten Howard Ziehm und Bill Osco, für ein geringes Budget schnell einen kleinen Reißer zu drehen, der wieder Geld in die Kassen spülen sollte.

Ein Kinobesitzer aus Texas, dem sie zuvor schon einschlägige Filme verkauft hatten, war bereit, $50.000 in das Unterfangen zu investieren – und so schrieben Ziehm und Osco zusammen mit ihrem FLESH-GORDON-Assistenten Walter Cichy eine Story über zwei Gesetzlose auf der Flucht. Cichy würde die Regie übernehmen, Ziehm wie bei FLESH GORDON die Kamera. Osco nutzte die Gelegenheit, um nicht nur als Produzent aufzutreten, sondern sich auch gleich eine der beiden Hauptrollen zu geben. Seinen Kumpanen spielte FLESH-GORDON-Star Jason Williams.

Zwei Drogenschmuggler auf der Flucht: Alex (Bill Osco, links) und Ray (Jason Williams).

Das Ergebnis ist gewissermaßen die zynische Exploitation-Billigvariante von Zeitgeist-Filmen wie ZWEI BANDITEN oder EASY RIDER. Vielleicht schwebte Osco und seinen Kollegen eine Brutalo-Version des letzteren Films vor: Zwei Hippie-eske Outlaws ziehen durch Amerika, im steten Konflikt mit allen Autoritäten. Immerhin war gerade die Zeit der Gegenkultur ein Klima, in dem der Kriminelle in Geschichten gerne auch für den Freiheitssuchenden stand – vom Ausbrecher-Vater in Spielbergs SUGARLAND EXPRESS über die Bankräuber in Ciminos DEN LETZTEN BEISSEN DIE HUNDE bis hin zu den mordenden Teenagern in Malicks BADLANDS. Die Figuren, die sich zu dieser Zeit auf die Suche nach einem besseren Leben begaben, mußten fast zwangsläufig mit dem Gesetz aneinandergeraten.

So gesehen ist es gewissermaßen stimmig, daß in der Variante von Filmemachern, die sich ohnehin schon auf nicht immer legalen Pfaden bewegten, die beiden Glücksritter nicht nur harmlose Gauner sind. Der von Jason Williams gespielte Ray ist der schlimmere Finger der beiden Gestalten: Ein brutaler Irrer mit ganz kurzer Lunte, der immer wieder die Menschen, denen die beiden auf ihrer Flucht begegnen, kaltblütig ermordet und daran auch noch eine sadistische Freude hat. Nicht, daß der von Osco gespielte Alex viel besser wäre – er versucht zwar, eine als Geisel mitgenommene Frau zu schützen, hat aber sonst auch nicht immense Skrupel. Daß Alex und Ray sich gegenseitig immer mehr an die Gurgel gehen, hat eher etwas damit zu tun, daß Alex mit heiler Haut davonkommen will und sich Sorgen macht, daß Rays Gewaltakte immer wieder Aufmerksamkeit auf die beiden lenken.

Karen (Diane Keller) freut sich nur bedingt, Ray (Jason Williams) auf seiner Reise begleiten zu dürfen.

Die Suche, auf die sich die beiden Soziopathen somit begeben, ist eine ganz und gar leere – es ist ein nihilistischer Amoklauf, der nirgendwohin führt und von nichts handelt. Der amerikanische Traum vom erkämpften reichen Leben ist hier nur eine sinnlose und gefährliche Idee, die von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Ganz abgesehen davon, daß es gar nicht mal die Gier ist, die unsere Protagonisten zu Gewalttätern werden läßt: Man kriegt gar nicht erst das Gefühl, daß sie in dieser Schieß-dich-frei-Welt irgendwann anders gewesen wären.

Die schnoddrige Machart kommt dem Pessimismus von COP KILLERS nur zu Gute: Man merkt das fehlende Budget in jeder Szene, gedreht wurde in einem schnellen Grindhouse-Stil, der vor Ecken und Kanten nur so strotzt. Genau diese rohe Machart aber paßt zum Inhalt – und auch wenn Ziehm, wie man immer wieder sehen kann, bei weitem kein professioneller Kameramann ist, hat er doch das Auge eines Photographen und schafft mit seinen Bildern eine interessante Intensität: Oft klebt er beklemmend nah an den Gesichtern, dann wieder wirft er Bilder ein, die durch ihre schiefe Optik oder ihr extremes Spiel zwischen Vorder- und Hintergrund mit comichafter Energie aufgeladen sind (man beachte z.B. einige der Einstellungen im ersten Schußwechsel).

Bei manchen Kameraeinstellungen merkt man vielleicht schon, was für Filme Howard Ziehm sonst so drehte.

Es ist Ironie des Schicksals, daß der Plan der Filmemacher ebensowenig aufging wie der ihrer Figuren. COP KILLERS verschwand sang- und klanglos und brachte nicht den erhofften Geldsegen. Auch Oscos Schauspielkarriere, die er mit dem Film starten wollte, führte ins Nichts – eigentlich schade: Man würde ihm keine Preise hinterherwerfen, aber er ist ein interessanter Typ, und seine entspannte Art funktioniert gerade im Kontrast zu dem aufbrausenden Jason Williams. (Zehn Jahre später gab er sich selber noch einmal eine Hauptrolle, in Jackie Kongs THE BEING, aber dort wurde er dann nachträglich von einem anderen Schauspieler synchronisiert.)

Es steht zu bezweifeln, daß hinter diesem Amerikaporträt eine Reflektionsebene seitens Osco & Co. steckt – immerhin war das Hauptziel ja, Geld heranzuschaffen. Aber auch aus einem diffusen Bauchgefühl heraus kann Zeitgeist getroffen werden – und der ist in dieser dreckigen Geschichte des Scheiterns ständig spürbar.


Mehr von Howard Ziehm auf Wilsons Dachboden:
FLESH GORDON (1974)
TAKE YOUR SHAME AND SHOVE IT (2015 - Autobiographie)

Mehr von Bill Osco auf Wilsons Dachboden:
THE UNKNOWN COMEDY SHOW (1982)
THE BEING (1983)
POLICE PATROL - DIE CHAOTENSTREIFE VOM NACHTREVIER (1984)
URBAN LEGENDS (1994)




Cop Killers (USA 1973)
Regie: Walter Cichy
Buch: Walter Cichy, nach einer Story von Howard Ziehm, Bill Osco & Walter Cichy
Kamera: Howard Ziehm
Produktion: Howard Ziehm, Bill Osco
Darsteller: Jason Williams, Bill Osco, Diane Keller

URBAN LEGENDS: Antikino als Frankenstein-Flickwerk

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URBAN LEGENDS –ganz klar, das ist dieser Retro-Slasher mit Robert Englund, bei dem eine Gruppe von Studenten nach den Vorbildern urbaner Legenden stirbt. Oder? Von wegen: URBAN LEGENDS (manchmal auch URBAN LEGEND) ist ein Frankensteinsches Schnodderfilmchen von Bill Osco und Carl Crew, die zuvor schon den Stinkefilm GROSS OUT auf die "Midnight Movie"-Zirkulation losgelassen haben. Das war eine derb geschmacklose, notdürftig zusammengeschraubte Ansammlung von Fäkalwitzen, die für jene Zuseher gedacht war, die gezielt nach wüstem Antikino suchen. URBAN LEGENDS ist das, was passiert, wenn man dabei die Fäkalwitze weglässt.

Trotz der Vermarktung im Sinne von DÜSTERE LEGENDEN ist URBAN LEGENDS kein Horrorfilm, aber immerhin ist er in vielerlei Hinsicht absolut grauenerregend: Niveau, Qualität, Humor und Inhalt rufen eine Vielzahl intensiver Emotionen hervor. Zum Beispiel Ärger – vielleicht, weil man Geld für dieses Flickwerk ausgegeben hat, vielleicht aber auch, weil man sich von vorne bis hinten veralbert fühlt. Dann tun einem die Beteiligten plötzlich kurz leid: Was ist, wenn die das ernst meinen? Auch hochgradige Verwunderung macht sich breit: Was zur Hölle ist das überhaupt, was da über den Schirm flimmert? Wer hat das durchgewunken, was soll der Käse? Und dann schämt man sich auch ein wenig – entweder für die, die da mitmachen, oder für sich selbst, weil man nicht wollen würde, daß jemand dabei zusieht.

Nicht zu Hause ausprobieren: Für solche Filme braucht man Profis.

Also: URBAN LEGENDS ist kein Spielfilm. Es ist eine Art Comedy-Programm, das in kurzen, moderierten Sequenzen Horror-Kurzfilme aneinanderreiht. Die drehen sich angeblich um urbane Legenden, aber nur die erste greift tatsächlich eine solche auf – den entflohenen Irren mit dem Haken an der Hand, der des Nachts ein Paar im geparkten Auto anzugreifen droht. Der Rest verzapft einfach irgendwelchen bizarren Unfug – zum Beispiel von einem wahnsinnigen "Vampire Eye Surgeon", der einem Patienten das Auge herausoperiert und daran herumlutscht.

Sämtliche Segmente sind aggressiv auf Trash getrimmt; es gibt hier und da ein paar Bluteffekte, aber die sind kaum ernstzunehmen. Stattdessen regiert das Schrille und Absonderliche: Menschen in merkwürdigen Kostümen hampeln sich durch schräge Szenerien, unser Moderator kommentiert das Ganze abfällig, und es werden Gelächter und andere Publikumsgeräusche darübergelegt. Daß zu Beginn des Films gewarnt wird, daß sich Menschen mit schwachen Nerven das alles lieber nicht ansehen sollten, und daß die gezeigten Fälle irgendwelche FBI-Unterlagen entnommen wurden, verstärkt nur den Verdacht, daß sich Produzent Bill Osco und Autor, Darsteller, Produzent und Mädchen-für-Alles Carl Crew mit dem ganzen Projekt einen blöden Jux erlauben.

Wir wollen nicht verschweigen, daß die Machart des Ganzen den Zuseher absolut perplex zurückläßt. Man mag URBAN LEGENDS schnodderig nennen, man könnte ihn als amateurhaft bezeichnen – aber selbst ein noch so schnoddriger Amateurfilm sieht besser aus als das unterbelichtete 16mm- und Camcorder-Herumgefilme, das sich hier entfaltet. Manchmal sieht man gar nichts, dann verzerrt der Ton plötzlich, die Geräusche des künstlichen Publikums übertönen mitunter jeden Dialog, und die Bildqualität sieht so aus, als würde jemand die Kopie einer Kopie einer Kopie zeigen. Wie bei GROSS OUT schwebte den Machern ganz wüster filmischer Underground-Punkrock vor.

Moderator Rusty De Fage (Dino Lee).
Da paßt es ja, daß Moderator Rusty De Fage von Rock'n'Roll-Sänger Dino Lee gespielt wird – mit immenser Perücke und richtig miesen Witzen. Lee, der selbsternannte "King of White Trash", galt in den Achtzigern als Kultfigur in der Punkszene von Austin und war auch schon mit seiner Band in der von Osco produzierten Horrorkomödie BLOOD DINER zu sehen. Nein, es macht seinen Kommentar nicht einen Deut lustiger – obwohl noch zu Beginn Einstellungen eines Tränen lachenden Publikums in die Moderation hineingeschnitten wird, obwohl Lee völlig offensichtlich in statischer Einstellung abgefilmt in einem ganz anderen Raum sitzt!

Apropos hineingeschnitten: An allen Ecken und Enden hat Osco Material aus anderen Produktionen in URBAN LEGENDS gequetscht. Immer wieder tauchen Sketche mit Murray Langston auf, dem papiertütentragenden "Unknown Comic", der die Hauptrolle in dem 1984 von Osco produzierten Film POLICE PATROL hatte. Diese Segmente (wie auch die anfänglichen Publikumseinstellungen) stammen aus dem 1982 von Osco betreuten Comedy-Zusammenschnitt THE UNKNOWN COMEDY SHOW. Nebenbei gibt es ein paar Einstellungen des Monsters aus der Osco-Produktion THE BEING sowie gelegentliche Nahaufnahmen von weiblichen Geschlechtsteilen, die aus dem Osco-Projekt PINK TV stammen – einer Art Porno-MTV, das Osco im Kabelfernsehen unterbringen wollte. Eine der Frauen sitzt übrigens auf der Toilette, aber es wird dankenswerterweise weggeschnitten, bevor es zu Unappetitlichkeiten kommt.

Der Wahnsinn greift um sich.

Eigentlich, so verrät uns Carl Crew, der Igor zu Oscos Frankenstein, in seinem Audiokommentar, wäre URBAN LEGENDS so konzipiert gewesen, daß es eine zusammenhängende Handlung gegeben hätte: Einer Frau wären nach und nach verschiedene urbane Legenden begegnet, bis sie zum Schluß selber zu einer wird. Osco stufte das Skript als zu teuer ein und gab Crew eine Woche Zeit für etwas Preisgünstigeres. Daß Lee über die einzelnen Segmente sprechen sollte, stand nicht im Skript, sondern ergab sich laut Crew nach und nach beim Dreh – offenbar, weil man merkte, dass das Material sonst nicht zu gebrauchen wäre:"It was a way to save all these other horrible scenes". Obwohl er im Abspann als Cutter gelistet ist, sagt Crew, daß er nach dem Dreh frustriert das Projekt verlassen habe und die Post-Produktion von Hollywood-Veteran Lucky Brown überwacht wurde, der zum Beispiel die merkwürdigen Comic-Sounds und Publikumsgeräusche einfügte. Das Schnittpuzzle aus den anderen Projekten wurde dann von Osco angefertigt.

Dank des wilden Flickwerks, bei dem natürlich nicht einmal das Filmmaterial hinsichtlich der Qualität aneinanderpaßt, wirkt URBAN LEGENDS wie ein von einem wahnsinnigen Wissenschaftler zusammengezimmertes Experiment, das aus dem Labor entkommen ist. Diese Machart ist aber auch das einzige, was hier das Interesse aufrechterhält: Die einzelnen Horror-Segmente sind strunzlangweilig und werden durch das darübergelegte Geplapper und Gejohle nicht besser, die Comedy mutet an wie vom Neptun zu uns herübergefunkt. Nur das beständige Knobeln, wie so eine Filmmutation überhaupt zustandekommt, kann einen hier über Wasser halten.


Mehr Bill Osco auf Wilsons Dachboden:
COP KILLERS (1973)
FLESH GORDON (1974)
THE UNKNOWN COMEDY SHOW (1982)
THE BEING (1983)
POLICE PATROL - DIE CHAOTENSTREIFE VOM NACHTREVIER (1984)



Urban Legends (USA 1994)
Alternativtitel: Urban Legend
Regie: "Januse Alucard Stelloff" (= Bill Osco)
Buch: Carl Crew
Musik: Dino Lee
Kamera: Mark Melville
Produktion: "Mr. Osco" (= Bill Osco), Carl Crew
Darsteller: Dino Lee, Carl Crew, Diane Nelson, Bob Blaine, Susie Campbell

Der Film wurde nie im deutschsprachigen Raum veröffentlicht. Er ist als Einzelveröffentlichung von MVD erhältlich und als Bonus-Feature auf der DVD "The Unknown Comedy Special". Der Audiokommentar mit Carl Crew ist nur auf letzterer Veröffentlichung zu finden. Die Screenshots stammen von  dieser DVD.

THE UNKNOWN COMEDY SHOW: Der Witz aus der Papiertüte

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Ende der Siebziger trat ein Komiker in der Talentshow THE GONG SHOW auf, der sein Gesicht unter einer braunen Papiertüte verbarg: "The Unknown Comic". Tatsächlich steckte unter der primitiven Verkleidung der Komiker Murray Langston, der schon durch reguläre Auftritte in der SONNY & CHER COMEDY HOUR und diverse Gastauftritte bei Programmen wie THE HUDSON BROTHERS RAZZLE DAZZLE SHOW bekannt geworden war. Langston war die GONG SHOW eigentlich zu albern und krawallig. Weil er aber durch Investitionen in ein Nachtlokal namens "Show-Biz" in finanzielle Schwierigkeiten geraten war, sagte er zu – unter der Bedingung, quasi anonym auftreten zu können. Mit seinen im Maschinengewehrtempo vorgetragenen Wortwitzblödeleien und albernen Derbheiten wurde Langston als "Unknown Comic" ironischerweise viel populärer als zuvor. Einige Jahre hielt er das Mysterium um seine Person aufrecht, bis er sich dann in mehreren Shows "outete".

THE UNKNOWN COMEDY SHOW ist ein nicht ganz einstündiges Special, das Langston 1982 unter der Leitung von Bill Osco für den Playboy Channel schrieb. Osco hatte Langston schon in dem von ihm produzierten Horrorfilm THE BEING (1981 fertiggestellt, aber erst 1983 erschienen) eine kleine Rolle gegeben und produzierte später die Komödie POLICE PATROL – DIE CHAOTENSTREIFE VOM NACHTREVIER, in der Langston nicht nur die Hauptrolle spielte (und einen Cop mimte, der sich nachts mit einer Papiertüte über dem Kopf als Komiker verdingt!), sondern auch am Skript mitschrieb.

So sieht The Unknown Comic unter der Papiertüte aus: Komiker Murray Langston.

Die Show besteht aus mehreren Stand-Up-Segmenten, die vor Publikum aufgenommen wurden, aber immer wieder von kleinen Sketchen unterbrochen werden. Die Live-Parts zeigen nicht nur Langston: Auch von Komikerkollege Johnny Dark (ebenfalls kurz in THE BEING zu sehen) und Jongleur James Wilder (hier als "James Marcel") sind Auftritte zu sehen, in den Sketchen wirken beide teilweise auch mit. Langston selber tritt nicht nur als "Unknown Comic" auf, sondern auch als er selber, als wären es zwei verschiedene Personen. Erst gegen Schluß zieht er die Papiertüte ab, um seine Identität zu zeigen.

Wie witzig man die Live-Segmente findet, hängt natürlich davon ab, ob man den Humor des "Unknown Comic" teilt. Manche seiner Albernheiten sind im positivsten Sinne entwaffnend blöd – wenn er zum Beispiel Babyphotos von sich verspricht und dann einfach kleine Papiertüten herzeigt, oder wenn er eine Bauchrednernummer ankündigt und dann eine kleine Papiertüte über die Hand zieht, die dann angeblich redet.

Einer der zwischengeschnittenen Sketche: Johnny Dark (links), Thomas F. Wilson (rechts).

Die Wortwitze vermengen sich gerne mit diversen Derbheiten und erinnern damit an die Art von Schulhofwitz, wo man noch ganz unbeschwert und frei von Realitätsbezug Geschmacksgrenzen ausgelotet hat: "What do you call an abortion in Czechoslovakia? A cancelled Czech" (das wäre eigentlich "cancelled check", der stornierte Scheck). Da ist viel zum Augenrollen, aber das hektische Tempo, in dem der Papiertütenmann die Gags herausballert, hat etwas Faszinierendes. Ohne Papiertüte ändert sich der Humor übrigens nur unwesentlich: Da erzählt Langston zum Beispiel von seiner Freundin, die er heiraten will. "All my friends say she's a 10, but she charges me 20."

Die Sketche laden allerdings noch weitaus mehr zum Stirnklatschen ein. Da werden teilweise Witze bemüht, die älter scheinen als die Zeit: Nachts klingelt das Telefon, der Mann geht ran und legt wieder auf. Seine Frau will wissen, wer es war, und er meint, dass da wohl jemand die Wetterstation erreichen wollte – der Anrufer hat nämlich gefragt, ob die Luft rein ist. Tusch! In einem Sketch kann man übrigens einen ganz jungen Thomas F. Wilson sehen, der später als Biff in ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT bekannt werden sollte.

Ja, dieser Mann jongliert mit drei laufenden Kettensägen.

Der unterhaltsamste Teil des Programms ist jener mit Jongleur James Marcel bzw. James Wilder. Seine Kunststückchen sind applauswürdig: Er jongliert mit drei Fackeln oder gleich mit drei laufenden Motorsägen. An einer Stelle jongliert er mit einer Fackel, einer Bowlingkugel und einem Apfel – und schafft es, den Apfel während der Aktion zu essen! Und weil die reine Artistik sich schnell abnützen würde, verknüpft er seine Show mit einer guten Portion Comedy: Er führt zum Beispiel Machete, Hackebeil und Sichel vor und zerkleinert mit den scharfen Geräten zur Demonstration eine kleine Karotte. Dann kündigt er an, damit jetzt zu jonglieren – und jongliert schelmisch grinsend mit den Karottenstückchen.

Übrigens wurden sämtliche Sketche viele Jahre später von Bill Osco in seinen Underground-Schnodderstreifen URBAN LEGENDS hineingeschnitten, ohne irgendwie passen zu wollen. Vielleicht schwebte ihm eine Art Umkehrprinzip vor: Hier zieht sich der Komiker die Papiertüte über, bei der Zweitverwertung macht das dann das Publikum, um ja nicht erkannt zu werden.


Mehr Bill Osco auf Wilsons Dachboden:
COP KILLERS (1973)
FLESH GORDON (1974)
THE BEING (1983)
POLICE PATROL - DIE CHAOTENSTREIFE VOM NACHTREVIER (1984)
URBAN LEGENDS (1994)




The Unknown Comedy Show (USA 1982)
Regie: Bill Osco
Buch: Murray Langston, Johnny Dark, "James Marcel" (= James Wilder)
Kamera: Ray Padilla
Produktion: Bill Osco
Darsteller: "The Unknown Comic" (= Murray Langston), Johnny Dark, "James Marcel" (= James Wilder), Connie Downing, Lori Sutton, Lou Milford

NUDE BOWLING PARTY: Ein beinahe feministisches Kleinod

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Als Konsument muß man mitunter schwer auf der Hut sein, von den Verlockungen mancher Filmtitel nicht in die Irre geführt zu werden. Da wird ein Jim-Carrey-Drama mal eben als MAN IN THE MOON verkauft, obwohl nachweislich nicht ein einziger Astronaut zu sehen ist! Ganz anders ist das zum Glück bei dem Epos NUDE BOWLING PARTY, der seinen Kunden entwaffnend ehrlich gegenübertritt: Jawohl, hier wird nackt gebowlt.

Dieses knapp einstündige Charakterdrama zeigt zwei Teams zu je zwei Damen, die in einer Bowlinghalle gegeneinander wetteifern. Auf der Seite der Models treten die blonde Barbie (Sara St. James) und die brünette Bambi (Tammy Parks) an, auf der Seite der Tänzerinnen die blonde Tina (Teresa Langley) und die exotische Latino-Frau Francine (Taryn Carter). Weil ein Photograph anwesend ist, verlieren die Frauen in den ersten paar Runden ihre Kleidung und posieren zwischen jedem Wurf für die Kamera. Unterbrochen wird das Spiel nur gelegentlich für kurze Werbe-Parodien – zum Beispiel ein Clip, in dem die Mädels als Behelf gegen zu stark wippende Brüste einen BH vorführen.

Hier wird gehalten, was im Titel versprochen wird!
Von links nach rechts: Teresa Langley, Taryn Carter, Tammy Parks, Sara St. James.

NUDE BOWLING PARTY ist ein Film von beinahe puristischer Klarheit. Auch wenn anfangs in einer Szene eine Rivalität zwischen den beiden Teams angedeutet wird und etwas Zeit für Kommentare und die erwähnten Clips bleibt, konzentriert sich die Angelegenheit doch mit bestechendem Fokus auf das, was uns die Prämisse verspricht. Hier entspinnen sich keine Dramen, keine Subplots lenken vom fast meditativen Fluss der Haupthandlung ab.

Hinsichtlich dieses thematischen Schwerpunkts ist der Film beinahe als feministisch einzustufen. Wo andernorts Frauen nur Nebenrollen an der Seite männlicher Stars erhalten, stehen hier die Damen ganz im Zentrum des Spektakels. Dabei wird auch ein deutlich weiblicher Blickwinkel eingesetzt: Während sich Männer bekanntlich eifrig auf Spielergebnisse, sportliche Leistungen und Gewinnstrategien konzentrieren, lässt NUDE BOWLING PARTY diese Elemente fast abstrafend in der Rinne verlaufen. Punktzahlen werden nur gelegentlich von den Moderatoren erwähnt, aber nie eingeblendet, und mitunter werden nicht einmal die getroffenen Pins gezeigt, weil die Kamera auf den Personen verweilt. Hier steht eben noch der Mensch im Mittelpunkt des Geschehens.

Sara St. James zeigt: Hier steht der Mensch im Mittelpunkt des Geschehens, nicht das Spiel.

Zu dieser humanistischen Haltung gehört auch, daß trotz der erwähnten Konkurrenzszene am Anfang das Spiel durchweg nur als vergnüglicher Zeitvertreib angesehen wird, bei dem kein Leistungsdruck verübt wird. Vor allem Bambi ist keinesfalls Profi-Bowlerin und wirft ihre Kugeln die meiste Zeit nur in die Rille, aber sie erntet ebensoviel Applaus und Fröhlichkeit seitens der Kollegen wie die versierteren Spielerinnen. Regisseur J.L. Williams (eigentlich Jason Williams, der Star des ersten FLESH GORDON) denkt hier unverkennbar an die berühmte Sentenz von Friedrich Schiller: "Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt".

Der Photograph im Hintergrund wird übrigens von Scott Spiegel gespielt, der am Drehbuch zu TANZ DER TEUFEL II mitschrieb, während Sam Raimis Bruder Ivan als sein Assistent zu sehen ist. Raimi, der mit seinem Bruder unter anderem DARKMAN und ARMEE DER FINSTERNIS schrieb, tritt hier unter dem Pseudonym "Alan Smithee Sr." auf – nur ein weiterer Beweis dafür, daß die Männer hier bereitwillig zurücktreten, um den weiblichen Stars nicht das Rampenlicht streitig zu machen.

Der Mensch als Homo ludens: Taryn Carter vor einem Wurf.

Fürwahr, ein NUDE BOWLING PARTY ist ein übersehenes Kleinod, von dem sich andere Produktionen nur eine Scheibe abschneiden können: Erst hier merkt man, was aus BOWLING FOR COLUMBINE mit ein bißchen Ambition hätte werden können.


Mehr Jason Williams auf Wilsons Dachboden:
COP KILLERS: Ein leerer Amoklauf durch Amerika
FLESH GORDON: Zoten und Zeitgeist




Nude Bowling Party (USA 1995)
Regie: "J.L. Williams" (= Jason Williams)
Buch: "J.L. Williams" (= Jason Williams)
Kamera: Daniel Yarussi
Darsteller: Teresa Langley, Taryn Carter, "Sara St. James" (= Jacqueline Lovell), Tammy Parks, Tom Van Vlisingen, D. Power, Scott Spiegel, "Alan Smithee Sr." (= Ivan Raimi), Jeff Scott

NACHTAKADEMIE: Schnodderkino mit humanistischer Gesinnung

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Exzentriker, Chaoten und Außenseiter fallen über eine altehrwürdige Institution her? Ganz klar, das muß ein ACADEMY-Film sein! Wie so oft wurde im Falle von NACHTAKADEMIE aber das Etikett nur bei uns verliehen: Im Original entstand der Streifen unter dem Arbeitstitel NIGHT SCHOOL und wurde dann als THE UNDERACHIEVERS veröffentlicht. Was freilich nicht heißen soll, daß die POLICE ACADEMY nicht doch als Comedy-Vorbild fungierte: Nicht nur das Humorprinzip, sondern auch das gezeichnete Video-Cover und der Titel-Schriftzug sind stark an der Mutter aller ACADEMY-Filme orientiert.

Die Einrichtung, die im vorliegenden Fall mit den ganz und gar unpassenden Gestalten klarkommen muß, ist eine Schule, die aus nicht detailliert erläuterten Gründen ein Abendschul-Programm anbieten muß, das allen gratis und unabhängig von ihren Qualifikationen offensteht – darunter auch einer Horde an Sträflingen, die sich im Zuge einer Rehabilitation fortbilden sollen. Die Lehrer sperren sich dagegen, umsonst zu arbeiten und sich mit dem vermeintlichen "Abschaum" abzugeben.

Mit der Prämisse ist eigentlich auch schon der Großteil der Handlung abgesteckt: Das lose arrangierte Chaos, das sich mit dem Einfallen der "Minderleister" entfaltet, ist eher rudimentär an einem tatsächlichen Plot aufgehängt. Nur ein paar Fäden ziehen sich durch das Prozedere: Eine engagierte Sozialarbeiterin (Barbara Carrera, nur wenige Jahre davor noch Bond-Girl in SAG NIEMALS NIE!) setzt sich für das Programm ein und geht mit dem elitären Lehrer Murphy mehrfach Wetten ein – wenn sie gewinnt, wird das Abendschul-Programm fortgesetzt, wenn sie verliert, muß sie sich dem lüsternen Strolch hingeben. Außerdem arbeitet der Sträfling Danny Undercover: Er soll für den Gangsterboß Joey auf dessen Frau aufpassen, aber für die Polizei nach Beweisen suchen, daß Joey mit Drogen handelt. Freilich überschneiden sich die beiden Plotfäden: Danny bandelt mit der Sozialarbeiterin an und kämpft mit ihr zusammen dafür, die "Nachtakademie" am Leben zu erhalten.

Sozialarbeiterin Katherine (Barbara Carrera) liebt das Stirnband,
das Undercover-Agent Danny (Edward Albert) den kompletten Film über trägt.

THE UNDERACHIEVERS ist der vierte Film von Regisseurin Jackie Kong – auch wenn er noch vor ihrer kurz zuvor gedrehten Horrorkomödie BLOOD DINER veröffentlicht wurde (weshalb auch die beiden Hauptdarsteller von BLOOD DINER hier in Nebenrollen als Team zu sehen sind). Wie ihre vorigen Filme wurde auch dieser von ihrem damaligen Ehemann Bill Osco produziert, der hier unter dem Namen "Mr. Osco" als "Creative Producer" gelistet ist (der Credit im Vorspann sieht dabei so aus, als wäre er nachträglich über einen anderslautenden gepackt worden). Und wer die Komödie POLICE PATROL – DIE CHAOTENSTREIFE VOM NACHTREVIER gesehen hat, die die beiden zuvor mit Papiertütenkomiker Murray Langston auf die Beine gestellt hatten, kann ahnen, daß auch der Humor der NACHTAKADEMIE eher von der unbekümmert lotterigen Art ist.

"What do the American people call their leader?", fragt da der Landeskunde-Lehrer seine Aussiedler-Schüler. "Asshole", antworten die ganz brav unisono. Auch sonst werden Feingeister wenig Freude am Film haben: Da entwickelt sich ein Streit zwischen der Sozialarbeiterin und einer älteren Lehrerin zu einem ausgewachsenen Catfight, bei dem die Fäuste fliegen und die Frauen sich gegenseitig durchs Fenster werfen, während sich anderswo eine durchgeknallte Trekkie-Lehrerin lüstern die Klamotten vom Leib reißt, sobald von Aliens die Rede ist – nur daß der Stichwortgeber eigentlich von Einwanderern redet. Apropos Wortwitz: Undercoveragent Danny trägt ein Ansteckmikro in Form eines riesigen Käfers – ein "bug", klar?

Diese Dame (Becky LeBeau) unterrichtet Unterwasser-Ballet für Senioren. Ehrlich!

Gar so übersprudelnd ist NACHTAKADEMIE aber in Sachen Irrsinn und Wortspiel nicht ausgefallen – die entsprechenden Stirnklatsch-Schmähs, die bei POLICE PATROL noch im Dauerfeuer vom Stapel gelassen wurden, sind hier nur vereinzelt anzutreffen, und der wonnig schlechte Geschmack wird diesmal auch nicht gar so umfassend zelebriert. Das hat den etwas merkwürdigen Effekt, daß NACHTAKADEMIE teils zu zahm für den selbstgewählten Tonfall wirkt – oder daß einzelne Schenkelklopfer zu einsam in einer Szene stehen, um sie wirklich zu tragen. Einiges ist amüsant, aber vieles auch viel zu behäbig und - Überraschung! - schlichtweg blöd.

Es hilft allerdings, daß der Film wie so viele seiner ACADEMY-Brüder im Geiste sein Herz am rechten Fleck hat: Auch wenn wir lachen sollen, wie wenig die schrägen Vögel in die Schulwelt passen, stehen wir doch ganz klar auf der Seite dieser Außenseiter. Die Bösen sind die elitären Lehrer, die ihre Schüler für ihr Unwissen verspotten oder sich über ihre Herkunft lustig machen. Tatsächlich baut der Film auf die Grundhaltung, daß Bildung für alle zugänglich sein sollte - und läßt die komischen Käuze an ihrer Fortbildung auch wachsen. NACHTAKADEMIE ist Schnodderkino mit humanistischer Gesinnung.

Hält nichts von den Punkern und Rockern und Dealern und Zockern und Wixern und Mixern:
Der elitäre Lehrer Murphy (Michael Pataki)

Die schönste Szene hat übrigens ausgerechnet Bad-Taste-Produzent Bill Osco, der hier ein letztes Mal in einer kleinen Rolle vor die Kamera tritt. Er spielt (unter dem Pseudonym "Johnny Commander", das er auch schon im Abspann von THE BEING verwendete) ein Mitglied der Amateurtheatergruppe der Schule. Am Abend vor der Aufführung sitzt er dann niedergeschlagen am Bett seiner kleinen Tochter (Roxanne Cybelle Osco, die tatsächliche Tochter von Osco und Jackie Kong) und bittet sie, ihm beim Auswendiglernen des Textes zu helfen. Trotz der nächtlichen Stunde zeigt sich das Kind hilfsbereit: "Put the coffee on and I'll be down in a minute". Dann seufzt die Kleine noch: "You're the best dad in the world, but you can't remember shit". Angesichts der hämischen Kommentare, die Osco für seine beiden eigens verschafften Hauptrollen in den Filmen COP KILLERS und THE BEING gekriegt hat, möchte man ihn für solch herzige Selbstironie fast umarmen.


Mehr Jackie Kong auf Wilsons Dachboden:
THE BEING (1983)
POLICE PATROL - DIE CHAOTENSTREIFE VOM NACHTREVIER (1984)

Mehr Bill Osco auf Wilsons Dachboden:
COP KILLERS: Ein leerer Amoklauf durch Amerika
FLESH GORDON: Zoten und Zeitgeist
THE UNKNOWN COMEDY SHOW: Der Witz aus der Papiertüte
URBAN LEGENDS: Antikino als Frankenstein-Flickwerk




Nachtakademie (USA 1987)
Originaltitel: The Underachievers
Arbeitstitel: Night School
Regie: Jackie Kong
Drehbuch: Jackie Kong, Tony Rosato, Gary Scott Thompson
Kamera: Chuck Colwell
Musik: Don Preston
Creative Producer: "Mr. Osco" (= Bill Osco)
Darsteller: Edward Albert, Barbara Carrera, Michael Pataki, Vic Tayback, Mark Blankfield, Jimmy Van Patten, Susan Tyrell, Burton Gilliam, Jewel Shepard, Becky LeBeau, Burt Ward, Carl Crew, Rick Burks, "Johnny Commander" (= Bill Osco)

CHINATOWN: Drei kleine Momente der Irritation

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Ich weiß nicht, wie oft ich Roman Polanskis CHINATOWN schon gesehen habe - einmal sogar auf der großen Leinwand, Ende 2002. Aber das ist das Spannende an den großen Werken: Man entdeckt immer wieder etwas. Diesmal ist mir unter anderem ein kleines Detail aufgefallen, das nähere Betrachtung verdient: Wie Polanski Geräusche verwendet, um die Normalität mit kleinen Irritationen zu brechen. Schauen wir uns drei Szenen an:



Diese Szene kommt relativ früh: Privatdetektiv Jake Gittes (Jack Nicholson) folgt Hollis Mulwray, dem Mann, auf den er angesetzt wurde. Der steht mittlerweile am Ozean, wo er auf etwas zu warten scheint. Gittes beschattet ihn von erhöhter Position aus - lange Stunden offenbar, nachdem es schon finster wird und der Detektiv in gemütlicher Pose ausharrt.

Dann ist ein plätscherndes Geräusch zu hören. Gittes dreht sich nach rechts - und kann gerade noch rechtzeitig zur Seite springen, bevor ihn ein Wasserschwall aus einem Rohr erwischt. Unter tosendem Rauschen wird eine Unmenge an Wasser abgelassen. Gittes geht neben dem Rohr in Deckung.



Die nächste Sequent kommt etwas später, als Gittes zum ersten Mal bei Mulwrays Privathaus auftaucht. Ein Butler öffnet die Tür, nimmt die Visitenkarte des Detektivs und schließt die Tür wortlos wieder. Während Gittes wartet, ist von rechts ein hohes, scheuerndes Geräusch zu hören. Gittes dreht sich nach rechts, um zu schauen, was es damit auf sich hat.

Er sieht (als POV gefilmt) den Wagen der Mulwrays und den Chauffeur, der den Wagen putzt. Das scheuernde Geräusch wird von dem nassen Putzlappen erzeugt. Der Chauffeur ist übrigens im ersten Moment nicht zu sehen - er kommt erst nach einem Moment hinter dem Wagen hervor.




Die dritte Szene kommt, als Gittes zum zweiten Mal bei Mulwrays Arbeitsplatz auftaucht - nachdem Mulwray tot aufgefunden wurde. Er wird der Sekretärin lang genug lästig, bis sie ins Nebenzimmer verschwindet, um ihn bei Mulwrays Kollegen Yelburton anzumelden. Während Gittes wartet, ist plötzlich ein Schaben oder Kratzen zu hören. Gittes dreht sich nach dem Geräusch um, das von der anderen Seite einer Tür kommt. Er öffnet die Tür und sieht zwei Arbeiter, die Mulwrays Namen von der Bürotür kratzen.

In der ersten Sequenz hängen das Geräusch und seine Ursache direkt mit dem Plot zusammen - Gittes erfährt, daß heimlich größere Mengen an Wasser Richtung Ozean abgepumpt werden, obwohl es angeblich zu wenig Wasser in der Stadt gibt. In den anderen beiden Szenen ist das Geräusch nur eine Tangente - die Irritation, die es erzeugt, trägt zur Textur und Stimmung des Films bei, aber nicht zur Handlung. In allen drei Beispielen wartet Gittes, bis dann ein Geräusch für kurze Zeit ein Fragezeichen aufwirft, bevor wir die Ursache sehen. Mal ist es wichtig (wie im Falle des Wassers), mal ganz nebensächlich (wie im Falle des Autowaschens).

Dieser kleine inszenatorische Kniff paßt zu Polanskis genereller Strategie, den gewöhnlichen Alltag immer wieder durch Merkwürdigkeiten zu durchbrechen - ob es die häusliche Atmosphäre in ROSEMARY'S BABY ist, an deren Rändern das Bedrohliche lauert, oder die Beschaulichkeit in DER MIETER, bei der ein Knarzen einen plötzlichen Ansturm aufgebrachter Nachbarn nach sich ziehen kann. Auch in DIE NEUN PFORTEN, FRANTIC und THE GHOST WRITER wird das Vertraute teils sehr subtil untergraben.

Ob Polanski auch in diesen Filmen mit diesen kleinen Irritationen durch Geräusche arbeitet, um Verunsicherung zu erzeugen? Ich werde beim nächsten Ansehen darauf achten.


Alle Screenshots wurden von der deutschen DVD (C) 2000 Paramount genommen.


SKYSCRAPER: Busenwunder gibt bösen Buben Zunder

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Terroristen besetzen ein Hochhaus! Sie sind bis an die Zähne bewaffnet und nehmen Geiseln! Und nur ein einsamer Einzelkämpfer, der zufällig im Gebäude ist, kann den sinistren Schurken die Stirn bieten! Wem die Geschichte bekannt vorkommt: Richtig, SKYSCRAPER funktioniert genauso wie STIRB LANGSAM 2, nur im Wolkenkratzer. Räusper.

Aber halt! Es gibt ja noch einen Kniff: Der Einzelkämpfer ist diesmal eine Frau. Und zwar nicht irgendeine, sondern Ex-Playmate Anna Nicole Smith, die in den Neunzigern hauptsächlich dafür bekannt war, eine steinalte Oberweite zu besitzen und einen mördergroßen Milliardär geheiratet zu haben. Oder war das umgekehrt?

Anna Nicole Smith will hoch hinaus.

Smith spielt hier die Hubschrauberpilotin Carrie, die eine Art Lufttaxi-Service namens "Heliscort" betreibt. Dummerweise ist einer ihrer heutigen Fluggäste ein böser Bube namens Fairfax. Der klaut mit seinen Spießgesellen Bauteile für ein ungeheuerliches Gerät zusammen, das etwas so Erschreckendes kann, daß es niemand im Film auszusprechen wagt. Fairfax läßt sich also zu einem Wolkenkratzer kutschieren, wo er mit Waffengewalt das letzte Teil einsammeln will, und muß sich dann mit der aufmümpfigen Carrie herumplagen. Profi-Tipp für angehende Großgauner: Man sollte im Budget neben der Handlangerarmee auch noch Platz für eigene Transportmittel lassen.

Die Produzenten wissen jedenfalls, daß der durchschnittliche Kunde auch ein überdurchschnittlich großes Interesse an der jedem Durchschnitt trotzenden gigantischen Oberweite der Hauptdarstellerin hat - weshalb Anna Nicole auch schon sehr früh im Film eine ausführliche Duschszene spendiert bekommt. Plötzlich kommt man sich vor, als würde man im Undergroundkino sitzen und sich einen verschollenen Russ-Meyer-Schmuddelstreifen ansehen: Wie in einem bizarren Kuriositätenkabinett werden hier Brüste vorgeführt, die so groß wie Köpfe sind. Man denkt unweigerlich an das Segment in Woody Allens WAS SIE SCHON IMMER ÜBER SEX WISSEN WOLLTEN, in dem ein monströser Silikonbusen mit Körbchengröße X durch das Land zieht und unschuldige Zivilisten plattwalzt.

Wir suchen noch nach den passenden Worten.

Freilich ist die Sequenz unter der Dusche narrativ keinesfalls zweckfrei: Während sich Anna säubert, läuft ein keuchender Kerl durch ihr Apartment - als POV gefilmt, wie in HALLOWEEN. Der aufgeregte Besucher entpuppt sich aber als ihr Ehemann Gordon, der sich prompt zu ihr unter die Dusche stellt. Wir sehen: Eine glückliche Beziehung. Abgesehen davon, daß sie gerne Kinder will, er aber nicht, weil er als Cop arbeitet und die Welt als zu schlecht empfindet. "Entschuldige, daß ich noch an Sonntagsspaziergänge im Park und an kleine süße Babies glaube!", schluchzt sie. (Übrigens wird Göttergatte Gordon von Richard Steinmetz gespielt, der noch in HOT SPLASH vor übergroßen Oberweiten zurückschrecken durfte: "Vor so großen T's hab' ich Angst", sagte er da.)

Im Hochhaus spielt sich dann alles in etwa so ab, wie man das aus STIRB LANGSAM kennt: Schußwechsel mit den Knallchargen in verschiedenen Korridoren, Klettern durch Lüftungsschächte, ein verräterischer Kerl, der unsere Heldin an die Terroristen ausliefern will, massive Mengen an Sprengstoff, ein findiger Computerhacker und ein Bösewicht, der den Weg nach unten außerhalb des Gebäudes antritt. Carrie hat allerdings mehr Gesellschaft als John McClane: Ein kleiner Junge (Daniel Smith, der Sohn von Anna Nicole) fährt wie in THE SHINING mit dem Tretauto durch die Gänge und will vor den Schurken beschützt werden, ein schwachbrüstiger Wachmann hilft, ein Putzmann schlurft durch die Gänge, und später tummeln sich noch ein paar SWAT-Männer und der gute Gordon im Haus herum.

"Was würde Hans Gruber tun?"
Terroristenanführer Fairfax (Charles Huber) und sein Computergenie Jacques (Jonathan Fuller).

Wer glaubt, daß sich während des ganzen Herumgewusels nicht noch eine weitere Nacktszene für Anna Nicole unterkriegen ließe, täuscht sich: An einer Stelle denkt sie verzweifelt an ihren Ehemann. Wir sehen in einer Rückblende, wie er ihr den Umgang mit einer Waffe beigebracht hat, und anschließend, ganz klar, eine lange Liebesszene zwischen den beiden. Im Freien diesmal - damit die voluminöse Oberweite genug Platz hat.

Da SKYSCRAPER von den Videofutterspezialisten PM Entertainment produziert wurde, sieht das Resultat aus wie alles, was aus diesem Hause kam: Ein preiswertes Puzzle aus Waffen, Explosionen und toughen Kampfmenschen, die Sätze sagen wie "Wir haben Besuch" oder "Am Fahrstuhl gibt es Aktivitäten". Es ist ein Destillat aus allen Versatzstücken, die die Actionbibliothek von Babel hergibt, jeder Moment eine Erinnerung, mit kühler Glätte von jeder Emotion oder Individualität befreit. Das Schnörkellose und Mechanische hat etwas Faszinierendes, ist aber gleichzeitig natürlich ungemein ermüdend.

Das da ist nicht Charlies Ehemann.

Und dann ist da noch Anna Nicole Smith, so hoffnungslos überfordert, daß sie einem irgendwann leid tun kann. Sie profitiert von der deutschen Synchro, weil da ihre schleppende, monotone Sprechweise verlorengeht - aber man merkt, wie sehr sie sich mit jedem Moment abplagt. Das eigentlich so hübsche Gesicht ist in einer permanenten Verstimmung gefangen. In einem Outtake-Video, das im Netz zu finden ist, sieht man, wie sie sich selbst einfachste Sätze kaum merken kann und wie im Dämmerzustand agiert. Daß ihr Körper gegenüber den früheren Photographien ganz außer Form geraten ist, verstärkt nur den Eindruck, daß es ihr schlichtweg nicht gut ging - was angesichts der Tatsache, daß sie jung an einer Überdosis verschiedenster Medikamente starb, auch kein abwegiger Gedanke ist. Jeglicher Plan, aus Smith eine brauchbare Schauspielerin oder zumindest eine Kult-Darstellerin wie Pamela Anderson zu machen, wurde durch SKYSCRAPER jedenfalls vehement im Keim erstickt.

Die Marilyn-Monroe-Bilder, die so auffällig in Charlies Apartment platziert wurden, verweisen leise auf die Tragik von Anna Nicole Smith. Sie wollte so gerne Marilyn sein, aber gereicht hat es leider nicht einmal für Jayne Mansfield.




Skyscraper (USA 1996)
Regie: Raymond Martino
Buch: William Applegate Jr., Joseph John Barmettler
Produktion: Joseph Merhi, Richard Pepin
Kamera: Frank Harris
Musik: Jim Halfpenny
Darsteller: Anna Nicole Smith, Richard Steinmetz, Charles Huber, Branko Cikatic, Calvin Levels, Jonathan Fuller, Lee de Broux, Deidre Imershein

STARFORCE: Von kleinen Käfern und noch kleineren Spezialeinheiten

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Science-Fiction-Action mit Soldaten und außerirdischen Käfern? Man kann es dem deutschen Verleih kaum verdenken, daß STARFORCE wie ein nur minimal unbekannterer Klon von Verhoevens STARSHIP TROOPERS vermarktet wird. "In einem Alien-verseuchten Ödland findet der letzte Kampf um die Freiheit statt!", tönt es auf dem hinteren Cover. Schade ist dabei natürlich nur, daß besagte Käfer-Aliens bloß am Rande in der Story auftauchen und außerdem nur auf dem Cover die Größe von Gebäuden erreichen.

Tatsächlich schielt die günstig gestaltete Geschichte recht aufmerksam in Richtung von Paul Andersons SOLDIER, der bei uns ja passenderweise STAR FORCE SOLDIER hieß. Also: Bei einem Überfall auf eine Weltraumkolonie werden viele Siedler getötet, aber einer der zur Verteidigung angerückten Soldaten findet im Kampf ein kleines Kind, das er mitnimmt und wie sein eigenes aufzieht. Will heißen: Er stellt sich mit dem Jungen ungefähr 18 Jahre lang in die Wildnis und bringt ihm Kampfsport in umgebundenen Handtüchern bei. Mein Papa hat das nie mit mir gemacht.

Starforce-Papa Lotar Temetrian (Andy Garrison, rechts) bringt seinem Findelkind Zed Lucene bei,
wie man sich in der Wildnis kleidet.
Zugegebenermaßen war mein Papa aber auch nicht der Gründer der Eliteeinheit Starforce, die aus genetisch gezüchteten Soldaten besteht und im Falle von Weltraumproblemen den ganz großen Otto losmachen kann. Ganze acht Mann umfaßt diese legendäre Truppe, wenn man das Vater-Sohn-Gespann mitrechnet, und weil Sohnemann Zed Lucene auf natürliche Weise geboren wurde, wird er von den anderen Soldaten schwer gemobbt.

Was läge also näher, als daß sich Lucene bei einer schwierigen Mission beweisen muß, um von den anderen akzeptiert zu werden? Ganz einfach: Lucene stellt bei einer noch schwierigeren Mission fest, daß die blöde Blase bis auf seinen Papa schwer korrupt ist, und darf einen nach dem anderen wegpusten. Jawohl, so geht man mit Halbstarken jenseits des Schulhofs um.

Mit dieser Armee kriegt man jeden Planeten in den Griff.

Korrupt sind die Kampfeumel deshalb, weil die Bewohner einer Gefangenenkolonie festgestellt haben, daß ihr kompletter Planet aus einer sehr seltenen und wertvollen Substanz besteht. Die Gefangenen sind sich uneinig, ob sie das blau leuchtende Zeug heimlich abbauen sollen, um dann nach Absitzen ihrer Strafe reich leben zu können, oder ob sie ihre planetarische Unabhängigkeit erkämpfen sollen – wie Australien vielleicht, nur ohne Didgeridoo. Und weil der Starforce-Truppenführer offenbar nicht ewig diesen Job ausführen möchte, fädelt er einen Plan ein, die Gefangenen zu töten und die wertvolle Substanz selber einzuheimsen.

So darf unser netter Junge Lucene also über einen Planeten stapfen, der so exotisch aussieht wie die steinigeren Gebiete von Mecklenburg-Vorpommern. Er freundet sich mit der Gefangenen Dahlia an, was damit zusammenhängen könnte, daß die Nippel unter ihrem grauen Oberteil den gesamten Film über strammer stehen als jede Eliteeinheit der Welt. Ein paar andere Gefangene treiben sich auch noch in der Ödnis herum, und die sehen aus, als wären sie auf dem Weg zu einer MAD-MAX-Fan-Convention falsch abgebogen.

Dahlia (Amy Weber) kämpft aufrecht an der Seite von Zed Lucene (Michael Bergin).

So darf Lucene, dessen Papa von der hundsgemeinen Starforce einfach erledigt wird, den ehemaligen Kollegen also zeigen, daß er mehr auf dem Kasten hat als jeder Genbubi. Es wird geschossen, gerannt, gesprungen, geflucht und gestorben, und zwischendurch klickt der Cutter auch manchmal auf den Button "Explosion einfügen". Das sieht deswegen brutal realistisch aus, weil die Weltraumszenen davor wie ein Demo-Entwurf zu den preiswerteren Spezialeffekten der Serie BABYLON 5 wirken.

Ach ja, Käfer wurden uns ja auch noch versprochen. Also: In einer Höhle krabbeln kleine rote Aliens herum, die sich vor dem Licht fürchten und schnell bissig werden. Lucene lockt also zum Schluß ein paar seiner Starforce-Gegner in eben jene Höhle und lässt die Biester im Halbdunkeln knabbern. Wir sehen: Die Assoziation mit dem Käferkrieg STARSHIP TROOPERS, die von der deutschen DVD-Hülle angeregt wird, ist beinahe voll und ganz gerechtfertigt. Mehr jedenfalls, als wenn man den phantastischen Käfer Herbie auf dem Cover gezeigt hätte.




Starforce (USA 2000)
Regie: Cary Howe & Tony Kandah
Buch: R.C. Rossenfier
Musik: John Sponsler
Kamera: Mark Morris
Darsteller: Michael Bergin, Amy Weber, Vernon Wells, Andy Garrison, Nicholas Worth, Harrison Young

Podcast: Lichtspielplatz #1 - John Carpenter

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Ich darf stolz den Podcast von Wilsons Dachboden präsentieren: Den "Lichtspielplatz", auf dem die verschiedensten Filmthemen behandelt werden sollen.

In der ersten Folge unterhalte ich mich mit Dr. Wily, der hier schon durch einige Gastbeiträge bekannt ist, über das Gesamtwerk von John Carpenter. Wir reden über Carpenter als Einzelgänger, seine Liebe zum Western, singen spontan (und nicht sehr gut) das ASSAULT-Thema nach und stürzen uns auch auf ein paar weniger beliebte Filme wie DAS DORF DER VERDAMMTEN und, jawohl, GHOSTS OF MARS.

Wir wünschen viel Spaß und freuen uns über Rückmeldungen!


(0:00:00) Begrüßung, THE WARD als "Best of Carpenter", Carpenter als Einzelgänger, GHOSTS OF MARS - ein Schuß aus der Hüfte

(0:14:19) HALLOWEEN II, Eingeschränkte Siege (THEY LIVE, CHRISTINE, ESCAPE FROM NEW YORK / ESCAPE FROM L.A., DARK STAR), Ordnung im Universum

(0:23:13) Carpenters Inszenierung, Carpenters Musik, die Apokalypse-Trilogie

(0:36:04) Ist jeder Carpenter-Film ein Western?

(0:39:57) STARMAN – ein untypischer Carpenter-Film?

(0:46:37) Andere Drehbücher, Carpenters Arbeit mit den Schauspielern

(0:53:11) Die MASTERS-OF-HORROR-Episoden, Carpenters Gesellschaftskommentare

(1:05:34) Die Anthologie BODY BAGS, Ausblick auf den nächsten Podcast

Musik:
(00:00) Clark Kent: "Woodridge"
(22:31) sea39: "Truth"
(39:07) sea39: "Know"
(52:11) Clark Kent: "Haddonfield (Loomis Resurrected Tapes)"

Alle Tracks mit freundlicher Genehmigung der Musiker verwendet.


In der nächsten Folge wird es um THE HATEFUL 8 und das Werk von Quentin Tarantino gehen. Ihr dürft gespannt sein!

TOP GUN - Eine Propaganda persönlicher Erfüllung

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In der Reihe "Class of 1986" widmet sich Wilsons Dachboden zwölf Filmen, die dieses Jahr ihr 30-jähriges Jubiläum feiern. Den Anfang macht eine dreiteilige Retrospektive zu Tony Scotts TOP GUN.



Schon im Juli 1986, knapp zwei Monate nach Start des Fliegerspektakels TOP GUN, berichtete die Los Angeles Times über einen Rekrutierungsanstieg bei der Navy – immerhin wurden teils in den Kinos Stände aufgebaut, an denen man sich freiwillig melden konnte. In seinem 2004 erschienenen Buch OPERATION HOLLYWOOD gibt Autor David L. Robb an, daß nach Veröffentlichung des Films die Zahl der Neuanmeldungen um 500 Prozent gestiegen sei. Wenn TOP GUN als Propagandafilm bezeichnet wird, ist das keine Übertreibung.

Maverick - der Einzelgänger: Tom Cruise.

Dabei ist es gar keine politische Ideologie, die hier propagiert wird – abgesehen natürlich von dem Standpunkt, daß das Militär eine schnuckelige Angelegenheit ist, in der exzellente Männer auch menschlich noch wachsen können. Die Feinde in TOP GUN sind anonym, dunkle Flugzeuge mit nicht identifizierbaren Gestalten darin – vielleicht Russen, vielleicht Koreaner, aber eigentlich nur kontextlose Gegner, die von den amerikanischen Elitefliegern in ihre Schranken verwiesen werden. Perfekte Werbung für die Army ist das nicht nur deswegen, weil der Film das ganze Leistungsnarrativ der Dekade, die Sieg-durch-Optimierung-Idee dieser Ära so punktgenau einfängt – nein, der Hauptgrund, warum TOP GUN so verführerisch funktioniert, ist die Tatsache, daß sich hier die ganze Welt in all ihren Ereignissen hauptsächlich um die Charakterbildung eines einzelnen Individuums dreht. Nicht ganz zufällig ist dieses Individuum die Hauptfigur, mit der wir uns identifizieren.

Er heißt nicht umsonst "Maverick", der Einzelgänger, der hier als talentierter Pilot an die Eliteschule Top Gun geholt wird, um dort eine Sonderausbildung zu erhalten. Maverick macht die Dinge auf seine Weise, begleitet von seiner treuen zweiten Geige "Goose", die sich stets brav unterordnet. Schon zu Beginn sehen wir, wie Maverick Befehle seines Vorgesetzten mißachtet, um einem Pilotenkollegen zu helfen. Natürlich sind wir auf seiner Seite, obwohl eine Militärstruktur mit derartigem Gutdünken eines Einzelnen nie funktionieren könnte – aber Mavericks Können gibt ihm auch im Film Recht. Er wird von seinen Vorgesetzten zurechtgewiesen, aber niemals ohne die Vergewisserung, daß er einer ihrer besten Piloten sei. Exzellenz schafft Privilegien.

Spannungen zwischen Iceman (Val Kilmer, links) und Maverick (Tom Cruise).

Im Top-Gun-Programm darf sich Maverick mit anderen herausragenden Könnern messen, darunter der korrekte Iceman, der Mavericks Draufgängertum als gefährlich einstuft. Im wahren Leben wäre Iceman derjenige mit den wünschenswerten Charaktereigenschaften, hier aber ist er der ungläubige Thomas – ein kalter Unmensch, der Mavericks Brillanz noch nicht erfaßt hat. Er wird zum Schluß respektvoll den Hut vor dessen Fähigkeiten ziehen dürfen.

Mavericks Kummer beginnt, als er an sich selbst zu zweifeln beginnt. Bei einem Unfall stirbt sein Partner Goose, weshalb Maverick seine Leichtfüßigkeit verliert. Der Tod seines Freundes stürzt ihn in eine Sinnkrise – nicht etwa, weil er mit dem Verlust hadert, sondern weil er ab sofort an seiner eigenen Unbesiegbarkeit zweifelt. In TOP GUN ist ein Todesfall nicht tragisch, weil ein Mensch stirbt, sondern weil ein anderer deswegen sein bislang ungebrochenes Selbstvertrauen verliert.

Spannungen anderer Art zwischen Maverick und Ausbilderin Charlie (Kelly McGillis).

Zum Glück darf die Welt zusammenarbeiten, den jungen Piloten wieder auf die richtige Spur zu bringen und aus ihm den besten Piloten zu machen, der er ohnehin schon war. Die Ausbilderin Charlie, seinem Charme schon längst verfallen, redet ebenso auf ihn ein wie Kommandant Viper, der Maverick zuvor sogar schon für seine Arroganz gelobt hat. Selbst die Witwe von Goose sieht es offenbar als ihre primäre Aufgabe, Maverick aufzubauen: "God, he loved flying with you, Maverick", versichert sie ihm schluchzend, als er ihr nach Gooses Tod seine Aufwartung macht.

TOP GUN ist wie ein mißverstandener Entwicklungsroman, in dem die ganze Welt nur in Bezug auf einen selbst existiert, und Maverick als Zentrum dieser persönlichkeitsstärkenden Ereignisse der quintessentielle Held der amerikanischen Achtziger. Reagan versprach unerschöpfliches Wachstum, Anstrengungen würden mit Gewinn belohnt werden. In der tatsächlichen "Top Gun"-Schule gibt es keinerlei Trophäe zu gewinnen, aber der Film läßt sich von solchen Wirklichkeitsdefiziten kaum bremsen: Hier zählen Leistung und Ehrgeiz, das Leben ist ständiger Wettkampf. "No points for second place", wie es an einer Stelle heißt. Amerika liebt nur die Sieger.

"I feel the need ... the need for speed."

Es ist nur allzu passend, daß Regisseur Tony Scott zuvor als Werbefilmer arbeitete: Seine Bilder für TOP GUN sind eine einzige Verkaufsshow. Sie verkaufen den Traum vom Aufstieg, den Traum vom Sieg, die Erfüllung aller Sehnsüchte nach Abenteuer und persönlicher Verwirklichung. Die Sonne überflutet jeden Moment, und selbst in die nüchternen Büros der Navy dringt das grelle Licht so optimistisch gleißend, daß der Griff zu den ikonischen Ray-Ban-Sonnenbrillen ganz natürlich scheint. Scott sah die jungen Piloten als "rock'n'roll stars" und setzt sie dementsprechend in Szene: Wie Werbung gerne eine Illusion von Lebensgefühl evoziert, wirkt auch das Leben als Kampfpilot in TOP GUN wie ein immerwährender Sommer an einem Ort, an dem man seinen Platz im Leben findet.

Mit der Ästhetik von TOP GUN beeinflußten Scott und die Produzenten Jerry Bruckheimer und Don Simpson maßgeblich das Kino der Achtziger und diverse spätere Action-Blockbuster. Auch inhaltlich hinterließ der Film seine Spuren – als perfekt designtes Popcorn-Spektakel schuf er sich seine eigene Nische in der Popkultur, trug aber auch zur Formelhaftigkeit und Substanzlosigkeit folgender Produktionen bei. Vielleicht regt der Film an, eine Ausbildung zum Piloten zu machen – aber bestimmt keine zum Drehbuchautoren.


Morgen folgt Teil 2 der TOP-GUN-Retrospektive: Ein Gespräch mit Dachboden-Gastautor Dr. Wily über den Soundtrack des Films (hier). Übermorgen schließe ich die Retrospektive mit einem Blick auf den Look von Kelly McGillis bzw. ihrer Filmfigur ab (hier).





Top Gun - Sie fürchten weder Tod noch Teufel (USA 1986)
Originaltitel: Top Gun
Regie: Tony Scott
Buch: Jim Cash & Jack Epps Jr.
Kamera: Jeffrey Kimball
Musik: Harold Faltermeyer
Produktion: Jerry Bruckheimer & Don Simpson
Darsteller: Tom Cruise, Kelly McGillis, Val Kilmer, Anthony Edwards, Tom Skerritt, Michael Ironside, John Stockwell, Barry Tubb, Rick Rossovich, Tim Robbins, James Tolkan, Meg Ryan, Adrian Pasdar

Die Screenshots wurden von der deutschen BluRay (C) 2009 Paramount Pictures genommen.

Der Soundtrack von TOP GUN: Sexualität und Synthesizer

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In der Reihe "Class of 1986" widmet sich Wilsons Dachboden zwölf Filmen, die dieses Jahr ihr 30-jähriges Jubiläum feiern. Nach meinen generellen Überlegungen zu TOP GUN (hier) folgt hier ein Gespräch mit meinem treuen Gastautor Dr. Wily über den dazugehörigen Soundtrack.

Der Soundtrack zu TOP GUN war ein ebensolcher Megahit wie der Film selber: Er kam auf Platz 1 der amerikanischen Billboard-Charts, ebenso wie die Single "Take My Breath Away" von Berlin, während der Hauptsong "Danger Zone" von Kenny Loggins immerhin Platz 2 erreichte. Das Album wurde in den Staaten neunfach mit Platin ausgezeichnet, verkaufte sich also alleine dort über 9 Millionen Mal. Vom internationalen Erfolg ganz zu schweigen - auch zum Beispiel in Deutschland und der Schweiz schaffte es die Platte an die Spitze der Charts.

Im folgenden Gespräch sitze ich mit Dr. Wily zusammen, um zu untersuchen, wie der Sound des Albums zum Film paßt, welche Themen verarbeitet werden, und wie die Platte den Geist der Zeit widerspiegelt.

Dr. Wily: Ich muß ja sagen: Der hat uns ja damals ziemlich gut gefallen. Heute ist die Musik eine Zeitkapsel, wenn du wissen willst, wie Radio-Rock und Pop-Balladen der Achtziger geklungen haben.

Genzel: Absolut, ja. Die Hälfte der Tracks sind von Giorgio Moroder geschrieben und produziert - und Moroder hat diesen Sound ja auch nachhaltig mitgeprägt, durch den FLASHDANCE-Soundtrack und die Songs, die er für Blondie und David Bowie und so weiter produziert hat. Das Album fängt den Sound der Ära auch deshalb so gut ein, weil da ein Mann dahintersteckt, der ihn mitgestaltet hat.

Wieviel hat Harold Faltermeyer beigesteuert?

Faltermeyer hat nur zwei Songs produziert: "Mighty Wings" von Cheap Trick und "Destination Unknown" von Marietta. Dafür natürlich den Score und die "Top Gun Anthem". Von Moroder sind "Danger Zone", "Lead Me On" von Teena Marie, "Take My Breath Away", "Hot Summer Nights" von Miami Sound Machine und "Through the Fire" von Larry Greene. Ich finde die Produktionen von Moroder etwas interessanter, weil sie etwas individueller sind als die von Faltermeyer – aber die sind ja beide aus einem Stall. Faltermeyer war lange Jahre der Arrangeur von Moroder, deshalb ist da nicht extrem viel Unterschied zu merken.

Wahre Achtziger-Überlebende hören den Soundtrack stilecht auf Tape.

Ein guter Teil dieser Songs geht ziemlich rein, das sind ziemliche Ohrwürmer. Das ist wirklich nicht schlecht geschrieben. Steile und große Melodien. Der Sound ist halt Plastik … entweder findet man das charmant oder halt vollkommen kitschig und künstlich. Er ist so oberflächlich wie der Film selber.

So gesehen also eigentlich adäquat. Aber für mich reduziert sich der Soundtrack nur auf eine Handvoll Tracks, weil ich so viele Songs so unglaublich anonym finde – nicht nur deshalb, weil es egal ist, wer sie singen könnte. Das ist ja auch bei den starken Songs der Fall. Wir wissen, daß da erst die Songs gemacht wurden und dann geschaut wurde, wer die singen könnte – "Danger Zone" wäre fast von Toto gemacht worden, und dann war's halt doch Kenny Loggins. Also, ich finde "Danger Zone" gut und "Playing with the Boys"– die gehen wirklich rein. "Take My Breath Away" ist ein wirklicher Hit. Jenseits dieser Songs …

Und "Mighty Wings"! Und das TOP-GUN-Thema.

Ja, die sind schon okay. Aber dann: "Hot Summer Nights", oder dieser Loverboy-Song, "Heaven in Your Eyes". Oder Larry Greene, "Through the Fire"– hast du den jetzt im Ohr, nachdem du eben erst den Soundtrack gehört hast?

Nein (lacht).

Eben. Oder Marietta, "Destination Unknown". Das ist ja nicht nur Wegwerf-Pop, das ist Ein-Ohr-rein-und-beim-anderen-raus-Pop.

Aus dem Berlin-Video "Take My Breath Away".

Aber er paßt super in den Verlauf vom Album. Es stimmt natürlich – "anonym" ist eine gute Bezeichnung. Aber es funktioniert irgendwie wie ein Album. Die Songs wurden alle extra für diesen Soundtrack geschrieben und produziert - da war kein einziger Song dabei, der schon woanders veröffentlicht war und den jemand hergegeben hat. Manche Musiker haben ja abgelehnt - zum Beispiel Bryan Adams.

Hat er einen Grund angegeben?

Er hatte mit der kriegsverherrlichenden Message des Films Probleme. Judas Priest dagegen haben geglaubt, daß der Film ein Flop wird.

Jedenfalls fällt mir jetzt kein anderer Soundtrack ein, der mit Rock-Songs und Pop-Songs funktioniert, die alle im Vorfeld komponiert wurden, und dann erst wurden Musiker dafür gesucht.

Ich nehme an, bei FLASHDANCE war das genauso, das war drei Jahre vorher. Da hat auch Moroder einiges gemacht. Die Songs sind meines Wissens auch alle für den Film entstanden.

Was bei FLASHDANCE aber noch ein bißchen mehr Sinn macht, oder?

Weil's ein Tanzfilm ist, natürlich. Es wird zu dieser speziellen Musik performt. Es war ja so ein Prinzip, das erst in den Achtzigern wirklich aufgekommen ist, daß sich diese Filme so extrem über die Soundtracks verkaufen. Daß du Hitsongs hast, wegen denen die Leute diesen Film dann sehen wollen, weil die Lieder auch mit dem Thema oder dem Gefühl des Films zusammenhängen. Natürlich gab's auch davor immer mal Songs, die so eingesetzt wurden, vor allem bei Musicals, aber die Produzenten Jerry Bruckheimer und Don Simpson haben sehr stark darauf gesetzt – sie haben sich für die Inszenierung der Filme Musikvideoregisseure und Werberegisseure gesucht und die Soundtracks der Filme dann auch so gestaltet, daß sie einen eigenen Werbeeffekt haben.

Und da passen ja die ganzen Songtitel dazu: Als würde jeder Song ein Thema des Films aufgreifen. "Danger Zone"– mich würd's nicht wundern, wenn es in der Fliegersprache tatsächlich so etwas wie eine "Danger Zone" gibt. Das zweite ist "Mighty Wings", es geht um Kampfflugzeuge. "Playing with the Boys"– ein Club aus Männern, die einen Riesenspaß haben. Du schreibst in deinem Review, es ist der immerwährende Sommer im Ausbildungscamp, das sind die "Hot Summer Nights". "Heaven in Your Eyes" und "Take My Breath Away", das sind die Lovesongs für die Liebesgeschichte. "Through the Fire", "Destination Unknown", die funktionieren sogar doppelt: Die Kampfpiloten fliegen als Soldaten in eine Prüfung, ins Unbekannte - aber dann gibt es das andere Thema mit dem Selbstvertrauensverlust und dem persönlichen Weg. Jetzt haben wir genau einen Song nicht genannt: "Lead Me On".

"Lead Me On" spielt in der Bar, bevor Tom Cruise Kelly McGillis kennenlernt – und er weiß ja da noch nicht, daß sie die Ausbilderin ist. Da paßt also in gewissem Sinne auch "Lead Me On".

Alles paßt vom Titel thematisch zum Film – oberflächlich und plump, da gibt es nichts Subtiles und keinen Subtext.

Kenny Loggins singt "Danger Zone".

Aber gleichzeitig sind die Titel alle so vage, daß sie auf unglaublich viel passen würden. Wir könnten ohne Mühe drei andere Filme finden, zu denen all diese Titel auch halbwegs passen. "Danger Zone", das kannst du für SPEED auch hernehmen. Gerade bei diesem "Danger Zone" merkt man so eine gewisse Mimikry. Der Track tut so, als wäre er total gefährlicher Rock'n'Roll – und das ist er ja überhaupt nicht, sondern eine total sichere und schön verpackte Nachstellung davon.

Das macht aber der Sound.

Nicht nur der Sound, auch die Tatsache, daß Kenny Loggins den Track singt, und die Tatsache, daß an der ganzen Songkonstruktion nichts aus irgendeinem Schema herausbricht – es ist nichts gefährlich an dem Song. Auch wenn man den mit einer richtigen Rockband und anderem Sound covern würde, wäre dieser Song trotzdem ein kreuzbraver Radio-Rocksong.

Stimmt, ja, weil er unglaublich viel Melodie hat. Ich stelle mir gerade vor, wenn das eine schnurgerade Rockband machen würde ... wenn zum Beispiel Motörhead das spielen würden, würde es wie ein Popsong klingen, weil er viel zu viele Melodiekurven hat, lauter schöne Melodiebögen und Ohrwurm-Hooks.

Hier hast du auch die Verbindung von Synthesizern und Gitarren, wo das Ziel ja damals war, diese Sounds so ähnlich klingen zu lassen, daß man nicht mehr weiß, was was ist. Das fand ich immer interessant: den Synthesizer als erkennbares eigenes Instrument. Er soll ja eigentlich so klingen, als wäre es ein anderes Instrument - aber gerade in dieser Zeit ist er als eigener Sound verwendet worden, bei dem man auch erkennen soll, daß das ein Synthesizer ist. Was mittlerweile ja nicht nur im Indie-Bereich auch wieder so hergenommen wird: Da wird gar nicht versucht, einen Synthesizer möglichst organisch, "instrumentengleich" klingen zu lassen.

Da bin ich mir gar nicht so sicher. In den Siebzigern war der Synthesizer einfach aufgrund der technischen Limitationen immer ein extrem künstliches Instrument – du hast gehört, daß das kein "natürliches" Instrument ist, sondern künstlich erzeugter Klang. In den Achtzigern hat diese Vermischung aber sehr wohl stattgefunden – wie du ja gesagt hast, sollte das nicht mehr so differenziert werden: Ist das eine Gitarre oder ein Synthesizer? Auch die echten Drums klangen teils so synthetisch wie die programmierten. Da wurde auf einen Sound gesetzt, bei dem man nicht mehr mitkriegen soll, was davon synthetisch ist und was nicht – Synth-Streicher zum Beispiel sollten auch nach echten Streichern klingen. Schau im "Top Gun Anthem"-Video, wie Harold Faltermeyer am Piano sitzt, obwohl man wirklich hört, daß das kein Piano ist.

Harold Faltermeyer am Piano für das "Top Gun Anthem".

Ich stelle mir grad vor, die hätten damals den Soundtrack ohne Synthesizer aufgenommen und "organische" Instrumente dafür hergenommen – das hätten die nicht gemacht, weil sie diesen Klang nicht wollten. Der Synth-Sound war der Multimillionen-Dollar-Sound 1986.

Der ja auch zum Designerlook des Films paßt. Es hat alles eine gewisse Künstlichkeit, alles ist sehr schick und sehr modern – das darf man ja nicht vergessen, damals war dieser Klang einfach modern, eine Mode.

Voll am Puls der Zeit.

Ja. Eine Ästhetik, die man so eingesetzt hat, wenn das cool, neu, aktuell wirken sollte. Eben: Du hast dann so eine ältere Band wie Cheap Trick, eigentlich eine Siebziger-Jahre-Rockgruppe mit Glam-Touch, und hier kriegen die dann auch diesen Synthesizer-Sound, damit die mit der Zeit gehen. Diesen breiigen Sound.

Dazu ganz viel Hall auf der Stimme, damit's richtig groß klingt, nach Stadion. Die Drums sind riesig – und klingen gleichzeitig so hohl.

Ich habe mir auch die Texte mal ein bißchen angeschaut. Es ist interessant, daß die immer wieder sexuell aufgeladen werden. Schon bei "Danger Zone": "Metal under tension / Begging you to touch and go". Cheap Trick singen dann "Take me on your mighty wings tonight". Und wenn man das einmal gemerkt hat, dann wird das fast wie so eine Parodie: "You'll never know what you can do / Until you can get it up as high as you can go". Später dann natürlich: "Playing with the Boys".

Bist du dir sicher, daß die gemerkt haben, daß das auch anders gelesen werden kann?

Also, im Song heißt es: "Bodies working overtime / One of life's simple joys is playing with the boys". Aber natürlich, die haben das nicht ironisch gemeint.

Da sind wir bei einem interessanten Thema: Wieviel Homoerotik findet da eigentlich statt, ohne daß die Männer das überhaupt merken?

Das ist wie bei den Metalbands der Achtziger, mit den ultraengen Lederhosen und den nackten, schwitzenden Körpern, die sich beim Konzert auch noch aneinanderreiben – man sieht das ja auch hier in dem Loverboy-Video, das trotz Balladen-Song genau so aufgezogen ist. 

Tony Scott sagt über die Volleyballszene ja auch schmunzelnd, das sei "soft porn".

Scott erzählt im Making-of auch von einem Photoband, der ihn sehr beeindruckt hat. Da hat ein Photograph namens Bruce Weber Männer in der Armee abgelichtet, schwarz-weiß und oft mit nackten Oberkörpern. Das hatte auch einen sehr homoerotischen Einschlag und war auch so intendiert. Und Tony Scott hat sich an diesem Look orientiert, an diesen schönen Körpern und wie die inszeniert wurden. Wenn man das alles zusammenfügt, ist der Schritt zu der Tarantino-Parodie in SLEEP WITH ME relativ gering – die Szene, wo er als Partygast darüber redet, daß es in TOP GUN eigentlich um Mavericks Kampf mit seiner eigenen Homosexualität geht. Da ist schon viel Knistern unter Kerlen.

Eine Photographie von Bruce Weber, über die Tony Scott im Making-of von TOP GUN redet.
Und niemandem ist aufgefallen, daß bei diesem Feiern der Männlichkeit auch noch etwas anderes mitschwingt. Aber da sind auch ein paar Songs dabei, die sich eigentlich an der Oberfläche nicht auf die Männergemeinschaft in der Armee oder auf die Liebesgeschichte mit Kelly McGillis beziehen, sondern auf die Fliegerei – und das Fliegen eines Kampfflugzeugs, den Steuerknüppel in der Hand, das hat hier etwas Erotisches. Das kann erregend sein, wenn ich durch die Lüfte gleite und irgendwen abballere.

Ja, es wird auf das Adrenalin, auf das Gefühl reduziert – und da paßt es auch, daß der Text von "Danger Zone" von Tom Whitlock geschrieben wurde, der Moroders Ferrari-Mechaniker war. Ein Automechaniker, der über die Sinnlichkeit eines röhrenden Motors schreibt.

Es ist schon interessant: Wenn man sich anschaut, wie Film und Soundtrack entstanden sind – das sind eigentlich Produkte. Von einem künstlerischen Anspruch oder einem künstlerischen Ausdruck ist ja da nicht zu reden – das sind Produkte, wo alles ineinandergreifen soll. Die Filmästhetik ist an Werbeästhetik angelehnt, die Musikvideoästhetik lehnt sich an die Filmästhetik an – bei Kenny Loggins sieht man bei gewissen Shots nicht, ob das aus dem Film oder aus dem Musikvideo ist. Die Songs sind oberflächlich und voll auf dem Zeitgeist, setzen auf das, was massenmäßig im Radio lief und verkauft wurde. Ein völliges Produkt – und heute hört man sich das an und kriegt wie bei einer Zeitmaschine einen Eindruck, was damals populär war. Sie haben also doch künstlerisch etwas eingefangen – aber das war nie ihre Intention.


Der abschließende Teil unserer TOP-GUN-Retrospektive geht morgen online: Ein Blick auf den Look von Kelly McGillis bzw. ihrer Figur (hier).




Die Screenshots wurden aus dem Bonusmaterial der deutschen BluRay (C) 2009 Paramount Pictures genommen. Das Photo des Tapes stammt von Dr. Wily.

Das elegant-lässige Styling von Kelly McGillis in TOP GUN

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In der Reihe "Class of 1986" widmet sich Wilsons Dachboden zwölf Filmen, die dieses Jahr ihr 30-jähriges Jubiläum feiern. Nach meinen generellen Überlegungen zu TOP GUN (hier) und dem Gespräch mit Dr. Wily über den Soundtrack des Films (hier) soll jetzt noch ein Spotlight auf den Look von Kelly McGillis geworfen werden.

So viel Arbeit, wie Tony Scott in die visuelle Präsentation von TOP GUN gesteckt hat - jedes Bild ist mit dem Auge eines Werbefilmers perfekt designt - so viel Zeit verbrachte er auch damit, die weibliche Hauptfigur zu stylen. Im Making-of erzählt Produzent Jerry Bruckheimer: "Tony spent an enormous amount of time on her look. He hired some of the best fashion stylists to work on her, and make-up artists, and hair people - really putting an enormous amount of energy into how good she looked in the movie, and how good he wanted her to look in the movie."

Schauen wir also mal an, wie Kelly McGillis (bzw. die Ausbilderin Charlie, die sie spielt) im Film auftritt und präsentiert wird:



Bei ihrem ersten Auftritt als Ausbilderin im Hangar trägt McGillis ein schickes Business-Outfit, das gleichzeitig sexy und professionell wirkt, aber nicht zu streng. Ein weiter, dunkler Blazer (offenbar ohne Knöpfe), dazu einen Bleistiftrock, Nahtstrümpfe und schwarze High Heels - und als Gegengewicht ein weißes T-Shirt unter dem Blazer. Das Shirt unterstreicht eine gewisse Bodenständigkeit und Coolness - die Frau ist souverän und will ernstgenommen werden, aber das nicht krampfhaft. Lässig wirkt das Outfit auch deshalb, weil die Ärmel des Blazers hochgekrempelt sind.

Abgesehen von den breiten Schultern des Blazers ist der Look sehr klassisch - vor allem durch seine Farben. Dazu passen auch die nicht ganz schulterlangen blonden Haare und der rote Lippenstift - trotz anderer Frisur erinnert das ein wenig an Marilyn Monroe.



In der Szene davor, wo Maverick sie in der Bar kennenlernt, wirkt Charlie gar nicht so gestylt: Sie trägt ein legeres weißes Polohemd, mit einem roseefarbenen Pullover über die Schultern gehängt, und Jeans dazu. Interessant, daß sie sich zum Fortgehen weniger bzw. dezenter herrichtet als zum Briefing - aber es funktioniert dramaturgisch fein, daß man sie als natürlich und ansprechbar wirkende Frau kennenlernt und dann erst in der nächsten Szene als höhergestellte Expertin präsentiert bekommt, die keinen Grund hat, von Mavericks Angeberei beeindruckt zu sein. (Leider ist der Film hier, wie in so vieler Hinsicht, sehr inkonsequent - so sehr Charlie Maverick anfangs abblitzen läßt, so sehr zündet sein selbstgefälliges Pfauentum letztlich doch noch und sie ordnet sich brav und verliebt unter, ohne daß er sich hätte wandeln müssen.)

Übrigens mag Charlie hier leger wirken, aber Stil beweist sie trotzdem: Man beachte die kleinen Tupfer, die ihr dezenter Goldschmuck setzt - die goldene Armbanduhr links, ein Armreif rechts, und ein auf "halb acht" getragener Ring.




Bei sich zuhause ist Charlie noch etwas legerer gekleidet: Wie man am unteren Bild sieht, trägt sie ein leichtes weißes Oberteil, über das sie ein weites, offenes weißes Hemd gezogen hat. Dazu Jeans und rot-braune Stiefel - letztere vielleicht (vor allem durch die Absätze) nicht unbedingt etwas, das man daheim tragen würde, aber immerhin handelt es sich ja um ein Rendezvous mit Maverick, bei dem sie doch schick wirken will. So oder so unterstreichen die Cowboy-haften Stiefel einmal mehr ihre Lässigkeit. Am rechten Arm ist wieder der Armreif zu sehen - und im oberen Bild sieht man einen schönen Goldring an der rechten Hand: Ein einfaches Design, bei dem Linien über Kreuz gehen. Auch das wirkt dezent und zeitlos.



Das weiße Shirt kombiniert Charlie teilweise auch mit einem weiten grauen Blazer - ebenfalls recht elegant, aber vom Kontrast her nicht so stark wie der dunkle Blazer. Man merkt schon: McGillis trägt immer ein weißes Oberteil, das dann wahlweise mit etwas kombiniert wird, das sie darüberzieht. (Nur in einer Szene, die hier nicht abgebildet ist, trägt sie eine roseefarbene Bluse: Die Sequenz in der Bar, wo Goose am Piano sitzt und alle "Great Balls of Fire" singen. Vielleicht ist es bezeichnend, daß das eine Szene ist, in der sie eher Randfigur ist.)

In einer Szene sieht man McGillis auch mit Brille - immerhin hat ihre Figur ja einen Doktor in Astrophysik!



Und noch ein großartiger Look: Eine weiße Bluse, dunkler Bleistiftrock, goldene Armbanduhr und ein Kettchen am Handgelenk - und dazu eine offene Lederjacke mit Insignien, die Ärmel erneut hochgekrempelt. Wie beim ersten Outfit wird hier Eleganz mit etwas Lockerem kombiniert: Dort war es der korrekte Blazer, unter dem McGillis ein T-Shirt trug, hier ist es mit Bluse und Jacke quasi umkehrt.

Am oberen Bild sieht man übrigens, wie sehr Tony Scott (und sein Kameramann Jeffrey Kimball) mit dem Blick von Werbe-Photographen arbeiten: Die hintereinandergereihten Säulen mit den streng vertikalen Linien würden tatsächlich auch einen fantastischen Hintergrund für eine Modestrecke abgeben.



Nochmal die Lederjacke, der man hier schön ihren Vintage-Look ansieht, darunter das weiße T-Shirt. Das schwarze Käppi trägt McGillis deshalb, weil die Szene erst bei einem Nachdreh entstand und kaschiert werden mußte, daß sie sich die Haare hatte schneiden lassen - dennoch paßt es natürlich zu Charlies lässigen Auftritt.

In der Nahaufnahme sieht man übrigens, daß auch ihr Ohrschmuck sehr dezent gestaltet ist - einfache, goldene Kügelchen. Dafür sind ihre Augen hier mit mehr Wimperntusche betont als in den anderen Szenen.



Und noch ein letztes Mal die coole Lederjacke und das weiße Shirt darunter. Hier ist beides mit einer Jeans kombiniert (nicht im Bild - aber man sieht die Jeans, wenn sie reinkommt und wenn sie wieder aufsteht).

Im Making-of erinnert sich Tony Scott, wie die Verantwortlichen bei Paramount skeptisch darüber waren, wie sexy Kelly McGillis im Film aussieht: "They kept saying to me, 'Stop making Kelly look so good, or so glamourous!'. They thought I had a Madonna/whore complex, putting Kelly in seam stockings, and she was really nasty in these 9 inch pumps and all this make-up on her." Schauspieler Michael Ironside hat Ähnliches gehört: "There's one comment I'd heard second-hand – that they thought Kelly in fact looked a bit like a streetwalker and less like a very highly regarded technician from Washington."

Natürlich ist das kompletter Quatsch - McGillis wirkt auf elegante und lässige Weise sexy, aber nie auf anbiedernde oder billige Art. Denkbar ist natürlich, daß solche Kommentare daher rühren, daß sie für das Empfinden der Militärberater zu sehr gestylt war - im wirklichen Leben sehen die zivilen Ausbilderinnen im Alltag höchstwahrscheinlich weniger schick und glamourös aus. Aber die Navy von TOP GUN hat ja mit der echten Navy wenig zu tun - es ist eine Designerversion davon, eine Werbe-Navy, und die wird natürlich auch dadurch begehrenswert, daß ihre Mitglieder wie Models ausgesucht und inszeniert werden. Vergessen wir mal nicht, daß auch die TOP-GUN-Männer wie aus dem Fashion-Katalog wirken.

Schauen wir uns zum Schluß nochmal an, wieso Scott und Kimball auch hochbezahlte Mode- und Lifestyle-Photographen hätten werden können: das Licht, die Pose, die Gegenstände - ein Bild, das die Erfüllung diverser Sehnsüchte suggeriert. So wie der Film als Ganzes.


Vielen Dank an Nina Wewerka für ihren Input. 
Damit beenden wir die "Class of 1986"-Retrospektive zu TOP GUN. Nächsten Monat geht es weiter mit einem etwas intensiveren Actionspektakel: James Camerons ALIENS.




Die Screenshots stammen von der deutschen BluRay (C) 2009 Paramount Pictures.

Podcast: Evil Ed #0 - Wer ist Evil Ed?

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Nur wenige Tage nach dem LICHTSPIELPLATZ startet auch schon mein zweiter Podcast: EVIL ED. Der entsteht in Zusammenarbeit mit meinem geschätzten Kollegen Dia Westerteicher, der schon in den Achtziger ein gleichnamigen Fanzine über den Phantastischen Film herausgab. Genau darum soll es auch im Podcast gehen: Im Magazin-Stil berichten wir über News, neue und alte Streifen, diskutieren verschiedene Themen rund um den Phantastischen Film und laden auch immer wieder Interviewgäste ein.

In der Folge Null reden wir vor dem tatsächlichen Start darüber, wer wir sind und worum es bei uns geht. Außerdem besprechen wir einige News, unter anderem zu Richard Stanley und Paul Verhoeven, und reden über die Genre-Filme, die wir 2015 entdeckt haben.



(0:00:00) Einleitung - wer sind wir, was ist Evil Ed?

(0:18:50) Phantastische News: Das MARTYRS-Remake, Richard Stanleys Lovecraft-Projekt COLOUR OUT OF SPACE, Netflix vs. VPN, Paul Verhoevens neuer Thriller ELLE, Neuer US-Horror mit THE FOREST und THE BOY

(0:39:12) Vorschau

(0:44:30) Vorstellung anderer Projekte: Podcasts "The Last Horrorcast", "Lichtspielplatz" und "United Nations of Horror", Jean-Luc Juliens Kickstarter-Projekt LIMBO

(0:50:00) Unsere Entdeckungen 2015: DJINN von Tobe Hooper, THE HARVEST von John McNaughton, THE MARTIN von Ridley Scott, MAGGIE von Henry Hobson

(1:08:55) Außerdem: UNKNOWN USER von Levan Gabriadze, IT FOLLOWS von David Robert Mitchell, THE PHILOSOPHERS von John Huddles

(1:21:50) Weiter im Text: MAD MAX - FURY ROAD von George Miller, EDGE OF TOMORROW von Doug Liman

(1:29:10) Drei Geheimtips: WHITE DOG, +1 und dieser eine kleine Science-Fiction-Film, der im Dezember anlief

(1:42:40) Verabschiedung, Outro

Der Podcast kann auf der Evil-Ed-Seite (hier) auch heruntergeladen werden. Außerdem gibt es eine YouTube-Version: hier.

Der nächste Evil-Ed-Podcast folgt am 15. Februar. Dort widmen wir uns der Kurzfilmkollektion DARK FOOTAGE von Christian Jürs und besprechen gegenseitig unsere eigenen Filme ZANDER und DIE MUSE.

Podcast: Lichtspielplatz #2 - Quentin Tarantino und THE HATEFUL EIGHT

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Nur 8 Tage nach der ersten Folge geht auch schon ein neuer Lichtspielplatz online! Im zweiten Teil rede ich zusammen mit meinem fachkundigen Gastautor Dr. Wily über THE HATEFUL EIGHT. Wir ordnen den Film in Tarantinos Werk ein, reden über seine Herangehensweisen und Ideen und debattieren, welche Entwicklungen es in seinem Schaffen gibt.


Übersicht über einzelne Abschnitte folgt noch!

Musik: Clark Kent: "Woodridge"

Der Podcast wird auf Bandcamp (hier) gehostet, wo er auch heruntergeladen werden kann.
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