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Podcast: Evil Ed #6 - Cthulhu in Switzerland - Zu Gast: Michael Zigerlig

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In der heutigen Evil-Ed-Folge haben wir den Schweizer Michael Zigerlig zu Gast, der mit dem Graphic Novel CALL OF CTHULHU bekannt wurde, einer Adaption der Horror-Geschichte von H.P. Lovecraft. Zigerlig kannte den ALIEN-Designer H.R. Giger (der das Vorwort für den Cthulhu-Band schrieb) und arbeitet mit Regisseur Brian Yuzna (BRIDE OF RE-ANIMATOR) an verschiedenen Projekten. Im Interview reden wir also nicht nur über seine Comics und hören Anekdoten über die Privatperson Giger, sondern besprechen auch diverse Yuzna-Filme.

Außerdem gibt es News zu Steven Spielberg, M. Night Shyamalan, David Lynch und Jackie Kong (die in Kürze eine Indiegogo-Kampagne für ein neues Filmprojekt startet: HIER), und wir reden unter anderem über 10 CLOVERFIELD LANE.

Viel Spaß beim Hören!




(0:00:00) Intro & Eddietorial
(0:08:07) News: Steven Spielbergs HAUS DES BÖSEN auf DVD, David Lynch beendet Dreharbeiten zu neuer TWIN-PEAKS-Staffel, neue TV-Reihe von M. Night Shyamalan, neues Projekt von Jackie Kong
(0:25:30) Interview Michael Zigerlig
(1:06:10) Die Filme von Brian Yuzna
(1:35:40) Lost Baddie: THE CRYING FREEMAN
(1:53:32) Zuletzt gesehen: MALEVOLENCE, 10 CLOVERFIELD LANE, S.R.I. UND DIE UNHEIMLICHEN FÄLLE

Mehr Infos auf der Evil-Ed-Seite: HIER. Das mp3 kann auch direkt heruntergeladen werden: HIER.

MISS DAISY UND IHR CHAUFFEUR: Von Freundschaft und Würde

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Die Südstaatenlady Daisy Wertham ist eine störrische alte Dame. Weil sie schon beim Ausparken aus der eigenen Garage ihr Fahrzeug nicht mehr richtig unter Kontrolle hat und den teuren Wagen in den Garten der Nachbarn krachen lässt, heuert ihr Sohn Boolie einen Chauffeur für seine Mutter an. Die beharrt aber darauf, auf keinerlei Hilfe angewiesen zu sein, und macht dem Fahrer Hoke das Leben schwer – angefangen damit, dass sie anfangs schlichtweg darauf besteht, zu Fuß einkaufen zu gehen. Hoke, ein einfacher schwarzer Arbeiter, bleibt mit Engelsgeduld am Ball – und so entwickelt sich über die Jahre hinweg nicht nur ein Arbeitsverhältnis zwischen ihm und Miss Daisy, sondern auch eine ungewöhnliche, verhaltene Freundschaft.

MISS DAISY UND IHR CHAUFFEUR, im Original DRIVING MISS DAISY, war ursprünglich ein Off-Broadway-Theaterstück, in dem Autor Alfred Uhry Erinnerungen an seine eigene Großmutter und ihren Fahrer verarbeitete. Ein Sofa und ein paar Stühle – mehr brauchte es auf der Bühne nicht, um Haus und Auto darzustellen und die Geschichte einer langen, zögerlichen Annäherung zu erzählen.

Miss Daisy (Jessica Tandy) akzeptiert ihren Fahrer Hoke (Morgan Freeman) nur widerwillig.

Unter der Regie des Australiers Bruce Beresford merkt man der von Uhry selbst adaptierten Filmversion nie an, daß sie ihren Ursprung im Theater hat. Es hilft natürlich, daß im Kino die imaginierten Orte, die mit dem Auto angefahren werden, tatsächlich dargestellt werden können und das Setting damit abwechslungsreich bleibt. Aber selbst in den zahlreichen eigentlich bühnenhaften Momenten, in denen zwei Menschen in einem Raum miteinander reden, erzählt Beresfords Inszenierung Bände. Es ist die Art von Regie, die man kaum merkt, aber die alle Feinheiten der Geschichte subtil aufblühen lässt – ob es das Verstreichen der Zeit ist, das sich in kleinen Ausstattungsdetails widerspiegelt, oder die Nutzung des filmischen Raums, in dem die Charaktere entsprechend ihrer Beziehung selten gleichberechtigt arrangiert sind.

Dank Beresfords sicherer und zurückhaltender Hand kann sein zentrales Schauspieltrio sich so entfalten, daß die Figuren zu echten Personen werden und man schnell emotionalen Anteil an ihrer Geschichte nimmt. Jessica Tandy erlaubt uns, den Mensch unter Miss Daisys brüsken Art zu sehen: eine stolze Witwe, die Hilfe ablehnt, weil sie sie als unwürdig für eine unabhängige Frau sieht – und eigentlich Angst davor hat, sie irgendwann annehmen zu müssen. Morgen Freeman spielt Hoke als freundlichen, unterwürfigen Mann, der sich vielleicht von Miss Daisy das Lesen beibringen lassen muß, aber dafür in seiner Menschenkenntnis so viel mehr weiß. Und dann ist da noch Dan Aykroyd als Daisys Sohn Boolie – ein Mann, der sich mit Pragmatismus um seine Mutter kümmert und sich vielleicht insgeheim wünscht, die Geduld von Hoke dafür zu haben.

Es ist fast ironisch, dass der Originaltitel DRIVING MISS DAISY so viel Bewegung suggeriert – wo sich doch die Freundschaft zwischen Miss Daisy und Hoke nicht einmal im Schritttempo entfaltet. 25 Jahre umspannt die Geschichte, die im Jahr 1948 anfängt, und in all diesen Jahren herrscht Stillstand im Haus von Miss Daisy, dessen Einrichtung so statisch ist, wie es bei alten Menschen so gerne der Fall ist. Es paßt, daß Hoke, selbst wenn er 19 Meilen die Stunde fährt, wo 35 erlaubt sind, noch ermahnt wird, nicht zu schnell zu fahren: Miss Daisy will eben nirgendwohin gefahren werden, auch nicht im übertragenen Sinne.

Sohn Boolie (Dan Aykroyd) argumentiert stets vergeblich mit seiner Mutter.

Dem Film wurde aus manchen Kreisen ungewollter Rassismus oder zumindest eine naive Sicht der Thematik vorgeworfen: Da wurde die zaghafte Freundschaft zwischen den beiden Hauptfiguren so verstanden, dass Hoke jahrelang als freundlicher Bediensteter Miss Daisys Abweisung erdulden muß, damit sie ihre Vorbehalte gegenüber dem schwarzen Mann ablegen kann. Auch zum Beispiel Filmkritiker Steven H. Scheuer schreibt in seinem Kompendium MOVIES ON TV AND VIDEOCASSETTE: "the hatred, tensions, and struggles of those times might as well be happening on another planet".

Gerade das stimmt natürlich nicht: Zwei der wichtigsten Szenen beziehen tatsächliche Ereignisse dieser unruhigen Zeit ein. In einer Sequenz hört Miss Daisy, daß bei der örtlichen Synagoge ein Bombenattentat verübt wurde – es ist der Anschlag auf die Hebrew Benevolent Congregation, der am 12. Oktober 1958 in Atlanta stattfand. In einer anderen Szene geht Miss Daisy zu einem Empfang, bei dem Martin Luther King eine Rede hält.

Daß diese Ereignisse im Hintergrund passieren, ist exakt der Punkt: Der Rassismus dieser Zeit dringt nicht in seinem ganzen Ausmaß in die Welt und damit das Bewußtsein von Miss Daisy vor. Als der schwarze Hoke der jüdischen Miss Daisy nach dem Anschlag auf die Synagoge eine Geschichte aus seiner Jugend erzählt, wo der Vater eines Freundes gelyncht wurde, erkennt sie nicht mal die Zusammenhänge. "Ich habe noch nie in meinem Leben Vorurteile gehabt", entrüstet sie sich an einer Stelle. Über das Schaffen von Martin Luther King schwärmt sie noch: "Ist es nicht wundervoll, wie die Dinge sich verändern?"– aber sie kommt nicht auf den Gedanken, Hoke zu der Rede mitzunehmen.

Diese Rede, die King 1965 im Dinkier Plaza Hotel in Atlanta hielt, ist ausschnittsweise auch im Film zu hören, und sie zeigt – nachdem Miss Daisy Hoke vor dem Hotel beim Wagen hat stehen lassen, anstatt ihn zum Empfang einzuladen – was die Frau in all den Jahren mit Hoke nie gelernt hat: "History will have to record that the greatest tragedy of this period of social transition was not the vitriolic words and the violent actions of the bad people but the appalling silence and indifference of the good people. Our generation will have to repent not only for the words and acts of the children of darkness but also for the fears and apathy of the children of light." Hoke hört der Rede draußen über das Autoradio zu, während Miss Daisy innen mit Reue auf den leeren Stuhl neben sich blickt.

Boolie (Dan Aykroyd, links) und Hoke (Morgan Freeman) üben sich in Geduld.

Trotz dieser historischen und politischen Verortung ist MISS DAISY UND IHR CHAUFFEUR aber im Kern ein Film über ein ganz anderes Thema: Es ist eine Geschichte über Würde – und darüber, wie Menschen diese Würde mit ihren Abhängigkeiten von anderen Personen zu balancieren versuchen.

Das wird unter anderem in einer recht unscheinbaren Szene deutlich: Hoke sucht Boolie in dessen Büro auf und berichtet, daß ihn ein anderer Mann abwerben und ihm ein höheres Gehalt zahlen will. Boolie erkennt, daß Hoke ihm das erzählt, weil er eine Gehaltserhöhung haben will – aber er spielt mit und fragt, was denn dieser andere Mann zahlen würde, um dann selber noch mehr anbieten zu können. Wie Freeman und Aykroyd die Szene spielen, ist Gold wert – beide zeigen subtil, wie sie genau wissen, was der andere eigentlich sagt und denkt, aber sie lassen sich gegenseitig die Würde: Hoke muß nicht betteln, Boolie darf pragmatischer Geschäftsmann bleiben und muß nicht zum sentimentalen Gönner mutieren.

Manchmal dauert es lang, bis man lernt, Hilfe anzunehmen.

Miss Daisy kämpft sehr schwer darum, sich diese Würde bewahren zu können – und natürlich empfindet sie ihre Abhängigkeit von einem Fahrer als Verlust derselben. Hoke erreicht sie unter anderem deshalb, weil er ihr immer wieder ihre Würde zugesteht: Als sie zum Beispiel mit der Straßenbahn fahren will, anstatt seine Dienste in Anspruch zu nehmen, argumentiert er nicht so, daß sie auf ihn angewiesen ist, sondern stellt das Auto in den Vordergrund: "Das ist einfach ein Jammer. Da haben Sie dieses feine Hudson-Automobil, das da draußen in der Garage steht – und es hat sich noch keinen Zentimeter bewegt, seit Mister Wertham es von Central Motors hergefahren hat!" Umgekehrt muß auch Hoke immer wieder um seine Würde kämpfen – zum Beispiel bei einer Fahrt durch Alabama, wo er extra fragen muß, ob er kurz den Wagen an den Straßenrand fahren und hinter die Büsche verschwinden darf, weil er wegen der Rassentrennungsgesetze nicht an der Tankstelle auf Toilette gehen durfte.

Am Schluß dieser langen persönlichen Reise lebt Miss Daisy im hohen Alter von über neunzig Jahren in einem Pflegeheim. Und als Hoke, der sich mittlerweile auch schon von seiner Enkeltochter fahren lassen muß, sie zu Thanksgiving besucht, lässt sie sich von ihm helfen, ohne dabei ihre Würde zu verlieren: Er füttert die mittlerweile gebrechliche und manchmal verwirrte Frau mit Kürbiskuchen. Sie lächelt ihn dankbar an. Manchmal braucht man eben Hilfe.




Miss Daisy und ihr Chauffeur (USA 1989)
Originaltitel: Driving Miss Daisy
Regie: Bruce Beresford
Buch: Alfred Uhry, nach seinem Bühnenstück
Kamera: Peter James
Musik: Hans Zimmer
Darsteller: Jessica Tandy, Morgan Freeman, Dan Aykroyd, Patti Lupone, Esther Rolle

FÜR KURZE ZEIT NAPOLEON: Ein Porträt eines unverbesserlichen Optimisten

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"Nicht aufgeben", geben viele erfolgreiche Künstler dem Nachwuchs als Tip. Weitermachen, am Traum festhalten, nicht unterkriegen lassen – irgendwann wird alles aufgehen. Der Tip hat einen Haken: Er kommt immer nur von Menschen, die schon Erfolg haben, und kann sich somit nur selbst bestätigen. Die anderen werden nämlich nie befragt.

Der in dem Dokumentarfilm FÜR KURZE ZEIT NAPOLEON porträtierte Wolfgang Krone ist so ein Mensch, der nie aufgegeben hat. 1978, als er 30 Jahre alt war, beschloß er, sich den Traum vom eigenen Spielfilm zu erfüllen. Er trommelte Freunde und Verwandtschaft zusammen, setzte Annoncen in die Zeitung und rekrutierte mehr und mehr Menschen, um ein Kriegsdrama im seinerzeit populären Amateurvideo-Format Super 8 zu drehen: DIE ERINNERUNGEN DES GRENADIERS ROUSSEAU. In der ambitionierten Geschichte geht es um drei Freunde, die in Napoleons Armee anheuern – aber einer fällt bald im Kampf, weshalb die anderen beiden desillusioniert desertieren wollen. Krone selbst spielte Napoleon, weil seine teilweise noch minderjährigen Mitstreiter einfach nicht alt genug für die Rolle waren.

Eine Amateuerproduktion mit aufwendigen Schlachtszenen - und Gewehren aus Besenstielen!
Das Geld für die aufwendige Eigenproduktion kam teils von Krones Arbeit als Packer in einer örtlichen Firma, teils von Krones Mutter. Keine Herausforderung war zu groß für den aufstrebenden Filmemacher: Wenn hundert Soldatenuniformen für die Statisten genäht werden mußten, belegte Krone eben entsprechende Kurse und setzte sich dann selbst an die Nähmaschine. Die lokale Presse schrieb ausführlich über Krone und sein Projekt. Als der Film fertig war, investierte Krone eine immense Summe in Kinokopien, um den Film bundesweit starten zu können. Der Streifen ging sang- und klanglos unter.

FÜR KURZE ZEIT NAPOLEON zeigt uns Krone 25 Jahre später: Bis vor kurzem lebte der 55-jährige noch bei der Mutter, bis die nach einem Schlaganfall in ein Pflegeheim mußte. Er ist arbeitslos und einsam. Nach ROUSSEAU hatte er versucht, weitere Filmprojekte auf die Beine zu stellen, die aber ebenso scheiterten. Im Film sehen wir seine Versuche, mit selbstgeschriebener Musik Fuß fassen zu können – ungeachtet der Tatsache, daß die Keyboardproduktion billigst klingt und Krones Sprechgesang höchst wacklig ausfällt. Der Mann, der für kurze Zeit Napoleon war, hat schon zahlreiche Waterloos erlebt – aber er macht trotzdem weiter, als wäre er auf der Insel Elba und nicht schon auf St. Helena.

Wolfgang Krone (Mitte) versucht vor dem Arbeitsamt, Mitstreiter für ein Arbeitslosen-Musical zu finden.

Es ist charmant, dem sympathischen, ungebremst optimistischen Krone dabei zuzusehen, wie er immer wieder aufsteht und versucht, das Beste aus seiner Situation zu machen – und gleichzeitig natürlich tief traurig. Krone versucht, ein Musical mit dem Titel "Arbeitslos und keine Frau" auf die Beine zu stellen, das er mit Arbeitslosen besetzen will – aber er muß das Projekt abblasen, weil sich nicht eine einzige Person freiwillig meldet. Sogar bis zum Bürgermeister läuft er mit dem Vorhaben, aber der wimmelt ihn mit Hinweis auf die womöglich geringe Zahl der zu erwartenden Gäste ab. Man wird das Gefühl nicht los, daß Krone unter etwas anderen Umständen ein großartiges soziales Projekt am Start hätte.

Mit seiner Musik schafft er es sogar in die MORNING SHOW von SAT1, wo Menschen ihre Talente demonstrieren und dann, wie im US-Vorbild THE GONG SHOW, noch vor dem Ende ihrer Darbietung abgewählt werden können. Eine Minute und eine Sekunde lang kann er seinen schief gesungenen Song "Essig oder eß ich nicht" darbieten, dann fliegt er. Es sei ein erster Schritt, der ihn bekannter machen könnte, glaubt ein Freund von Krone. Wieder beschleicht einen das Gefühl, daß Krone gar nicht so daneben liegt: Anders präsentiert könnten seine schrulligen, selbstironischen Texte über die Nöte des kleinen Mannes – natürlich er selbst! – womöglich vielen Menschen aus der Seele sprechen. Vielleicht mit anderem Sänger, vielleicht mit anderer Vortragsweise, vielleicht mit auffälligerer Albernheit wie bei Helge Schneider.

Wolfgang Krone in der MORNING SHOW von SAT1.

Apropos Helge Schneider: Dem will Krone unbedingt seine Musik vorspielen. Bei einem Konzert schafft er es, das Vorbild backstage zu treffen, und Helge ist souverän genug, sich tatsächlich eins von Krones Liedern anzuhören. Er muß schmunzeln und gibt Krone folgende Worte mit: "Wenn du Spaß daran hast, dann wirst du auch Leute haben, die auch Spaß daran haben. Aber wenn du krampfhaft versuchst, an die Spitze zu kommen, dann funktioniert's nicht." Es könnte aber 20 Jahre dauern, fügt er noch hinzu. Krone lacht, er sei schon 55.

Einige der Mitstreiter, die Krone für den Napoleon-Film um sich scharen konnte, kommen auch zu Wort. Sie erinnern sich gern an das Projekt – aber wenn Krone nicht dabei ist, erzählen sie, wie er während des Drehs selbst Züge von Napoleon annahm: Wegen der Berichterstattung habe er sich plötzlich wie ein richtiger Filmemacher gefühlt. Ressentiments scheinen sie nicht gegen Krone zu hegen, aber der meint an einer Stelle, das Traurigste am Ende von DIE ERINNERUNGEN DES GRENADIERS ROUSSEAU sei nicht der Mißerfolg des Films gewesen, sondern die Tatsache, daß dabei Freundschaften auseinanderbrachen.

Helge Schneider lauscht einem von Wolfgang Krones Liedern.

Irgendwann merkt man, daß Krone vielleicht gar nicht so sehr um Erfolg oder Anerkennung kämpft, sondern im Grunde genommen gegen die Einsamkeit. Er lebt alleine, die Trennung von der Mutter ist schmerzhaft, und seine Versuche, über Kennenlern-Radioshows oder Annoncen eine Frau zu finden, scheitern ebenso wie seine künstlerischen Unterfangen. Dabei geht Krone eigentlich immer offen und freundlich auf die Menschen zu. An einer Stelle wird davon erzählt, wie er früher oft kleine Gartenparties organisiert hat, bei denen sich auch immer wieder Paare kennenlernten. Nur er selber blieb erfolglos.

Am 7. Februar 2014, also nicht einmal neun Jahre nach Veröffentlichung der Dokumentation FÜR KURZE ZEIT NAPOLEON, berichtete die Hannoversche Allgemeine, daß Krone am 28. Dezember 2013 in seiner Wohnung starb. Weil sich kein Familienmitglied fand, das die Bestattungskosten übernehmen wollte, wurde seine Urne anonym bestattet. Was für ein trauriges Ende für einen so unverbesserlichen Optimisten, der einfach immer weitergemacht hat und nichts unversucht ließ.

Immerhin hat Wolfgang Krone mit Bart van Eschs einfühlsamem, auf Augenhöhe gezeichnetem Porträt noch eine verspätete Würdigung erhalten. Es ist schön, daß die Dokumentation noch vor Krones Tod fertiggestellt wurde: Dank FÜR KURZE ZEIT NAPOLEON kann er als jemand in Erinnerung bleiben, der sich nach Waterloo vielleicht doch noch einmal aufrappelt.





Für kurze Zeit Napoleon (Deutschland/Niederlande 2005)
Regie & Buch: Bart van Esch
Produktion: Peter Roloff, George Weiss

Vielen Dank an Rodja Pavlik für die Filmempfehlung. Sein Review ist auf seiner Seite HomeMovieCorner zu finden: HIER.

Talking Pictures #1: Howard Ziehm, Creator of FLESH GORDON

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TALKING PICTURES is an interview series in which I talk to the people behind some of my favorite movies. From cult movie directors to character actors, from seasoned veterans to brilliant newcomers, from celebrated artists to filmmakers who haven't received the recognition they deserve - these folks have made some great movies and have lots of fascinating stories to tell.

In February 1994, a film that was shown late at night on TV caught my attention: FLESH GORDON MEETS THE COSMIC CHEERLEADERS. It was labelled "flop of the day" by my TV guide, but that never stopped me from checking out movies that looked different and interesting. The film turned out to be one of the craziest comedies ever made - a SF spoof with no shortage of dirty jokes, inspired silliness, weird monsters and ... yes, penis- and breast-shaped spaceships. Certainly not a film for everybody, but done with an amazing amount of creativity.

A couple years later, I got the UK VHS tapes of both FLESH GORDON and FLESH GORDON MEETS THE COSMIC CHEERLEADERS. I watched them over and over again, sometimes with friends who I tried to introduce to their offbeat charm. And, having an Internet connection since 1996, I tried finding out more about FLESH GORDON creator Howard Ziehm. I gathered he had done a number of adult films and hadn't made a new movie since 1989's FLESH GORDON MEETS THE COSMIC CHEERLEADERS. Other than that, information was very sparse.

Turns out Howard Ziehm didn't just direct a few random adult films - he was actually one of the pioneers of the porno revolution of the 70's, having directed its first feature film with theatrical distribution, MONA THE VIRGIN NYMPH!

Several years later, FLESH GORDON was released on DVD - along with an audio commentary by Howard, who told the fascinating story of how that film came together. It's a tale of accidents and police raids, betrayal and overcoming adversity - simply put: a riveting account that makes you wish it didn't end after an hour.

Last year, Howard told the full story when he released his autobiography TAKE YOUR SHAME AND SHOVE IT - which isn't just a highly entertaining story of a porn pioneer who's also been the co-owner of a folk club in San Francisco and tried his hand (not too successfully, as he is quick to point out) at smuggling drugs from Mexico, but also a fascinating portrait of an era that brought immense social and moral changes.

And now, Howard's my first guest on my new interview series Talking Pictures. I feel honored that he took the time to talk to me about his book and his career. We've discussed how he almost threw in the towel when making FLESH GORDON, how the adult movie industry has changed, why people are ashamed of their sexuality, what Howard's stylistic touches are - and Howard gives the most concise advice ever on how to shoot good porn. Enjoy!



The file can be downloaded HERE.

Howard's autobiography can be bought HERE.

Many thanks to Howard and Judy Ziehm for the picture.
Special thanks to Dr. Wily, my Lichtspielplatz podcasting partner, and Dia Westerteicher, from the Evil Ed Podcast, for audio editing and mastering. The music was created by Clark Kent.


Read more about Howard Ziehm's work here on Wilsons Dachboden (in German):
COP KILLERS: Ein leerer Amoklauf durch Amerika
FLESH GORDON: Zoten und Zeitgeist
TAKE YOUR SHAME AND SHOVE IT: Die Memoiren von Porno-Pionier Howard Ziehm

ALIEN AGENT: Ein sexy Querschnitt

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Sexy Erdenfrau muß beschützt werden ...
... vor sexy Alienfrau.
Sexy Mark Dacoscos übernimmt das.
Sexy Alienfrau wird schnell brutal.
Sexy Erdenfrau auch.
Sexy Mark Dacascos erst recht.
Sexy Oberalien Billy Zane verbreitet auch Unmut.
Sexy Explosionen sind zu sehen.
Es gibt eine sexy Duschszene mit der sexy Erdenfrau.
Es gibt auch eine sexy Partikel-Duschszene mit der sexy Alienfrau.
Die sexy Erdenfrau gerät in sexy Gefangenschaft.
Es gibt noch mehr sexy Explosionen.
Sexy Mark Dacascos ist diesmal so sexy, daß er sogar das Gesicht bewegt.
Es gibt auch sexy Spezialeffekte.
Sexy Abspann nach 84 Minuten.
Mehr fällt mir leider zum Film nicht ein.



Alien Agent (Kanada 2007)
Regie: Jesse Johnson
Buch: Vlady Pildysh
Kamera: C. Kim Miles
Musik: Michael Richard Plowman
Darsteller: Mark Dacascos, Amelia Cooke, Emma Lahana, William MacDonald, Kim Coates, Billy Zane

Lichtspielplatz #5: Tobe Hooper

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In der fünften Folge unseres Lichtspielplatz-Podcasts geht es um Tobe Hooper, den Regisseur von BLUTGERICHT IN TEXAS. Dr. Wily und ich reden über verschiedene Themen in Hoopers Filmen, z.B. das Thema der Familie oder das Prinzip der Hysterie, und vernachlässigen dabei auch nicht die unbekannteren und ungeliebteren Filme des Regisseurs. Um die große POLTERGEIST-Frage kommen wir freilich auch nicht herum - und debattieren dabei, warum die überhaupt so vehement im Raum steht.


Viel Spaß beim Hören!



Der Podcast kann auch HIER direkt als mp3 heruntergeladen werden.
HIER kann der Lichtspielplatz-Podcast auf iTunes abonniert werden.

Im Podcast erwähnte Links:
Tobe Hooper Appreciation Society
Faculty of Horror – Texas Chain Saw Massacre Episode
Poltergeist Fanseite


Mehr Tobe Hooper auf Wilsons Dachboden:
BLUTGERICHT IN TEXAS: Ein morbides Horror-Meisterwerk

FIRE SYNDROME: Hoopers hysterische Welt

CROCODILE: Beschränkte Studenten gegen Schnappi, das Krokodil

MIDNIGHT MOVIE: Tobe Hooper vs. Zombies

DJINN - DES TEUFELS BRUT: Horror in und aus den Emiraten
Close-Up: BLUTGERICHT IN TEXAS - Der Mord an Franklin
Close-Up: BLUTGERICHT IN TEXAS - Die Szene mit dem Fleischerhaken

Lichtspielplatz #1 - John Carpenter

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Ich darf stolz den Podcast von Wilsons Dachboden präsentieren: Den "Lichtspielplatz", auf dem die verschiedensten Filmthemen behandelt werden sollen.

In der ersten Folge unterhalte ich mich mit Dr. Wily, der hier schon durch einige Gastbeiträge bekannt ist, über das Gesamtwerk von John Carpenter. Wir reden über Carpenter als Einzelgänger, seine Liebe zum Western, singen spontan (und nicht sehr gut) das ASSAULT-Thema nach und stürzen uns auch auf ein paar weniger beliebte Filme wie DAS DORF DER VERDAMMTEN und, jawohl, GHOSTS OF MARS.

Wir wünschen viel Spaß und freuen uns über Rückmeldungen!

Der Podcast kann auch HIER direkt als mp3-Datei heruntergeladen werden.

(0:00:00) Begrüßung, THE WARD als "Best of Carpenter", Carpenter als Einzelgänger, GHOSTS OF MARS - ein Schuß aus der Hüfte

(0:14:19) HALLOWEEN II, Eingeschränkte Siege (THEY LIVE, CHRISTINE, ESCAPE FROM NEW YORK / ESCAPE FROM L.A., DARK STAR), Ordnung im Universum

(0:23:13) Carpenters Inszenierung, Carpenters Musik, die Apokalypse-Trilogie

(0:36:04) Ist jeder Carpenter-Film ein Western?

(0:39:57) STARMAN – ein untypischer Carpenter-Film?

(0:46:37) Andere Drehbücher, Carpenters Arbeit mit den Schauspielern

(0:53:11) Die MASTERS-OF-HORROR-Episoden, Carpenters Gesellschaftskommentare

(1:05:34) Die Anthologie BODY BAGS, Ausblick auf den nächsten Podcast

Musik:
(00:00) Clark Kent: "Woodridge"
(22:31) sea39: "Truth"
(39:07) sea39: "Know"
(52:11) Clark Kent: "Haddonfield (Loomis Resurrected Tapes)"

Alle Tracks mit freundlicher Genehmigung der Musiker verwendet.


In der nächsten Folge wird es um THE HATEFUL 8 und das Werk von Quentin Tarantino gehen. Ihr dürft gespannt sein!

TOP GUN - Eine Propaganda persönlicher Erfüllung

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In der Reihe "Class of 1986" widmet sich Wilsons Dachboden zwölf Filmen, die dieses Jahr ihr 30-jähriges Jubiläum feiern. Den Anfang macht eine dreiteilige Retrospektive zu Tony Scotts TOP GUN.



Schon im Juli 1986, knapp zwei Monate nach Start des Fliegerspektakels TOP GUN, berichtete die Los Angeles Times über einen Rekrutierungsanstieg bei der Navy – immerhin wurden teils in den Kinos Stände aufgebaut, an denen man sich freiwillig melden konnte. In seinem 2004 erschienenen Buch OPERATION HOLLYWOOD gibt Autor David L. Robb an, daß nach Veröffentlichung des Films die Zahl der Neuanmeldungen um 500 Prozent gestiegen sei. Wenn TOP GUN als Propagandafilm bezeichnet wird, ist das keine Übertreibung.

Maverick - der Einzelgänger: Tom Cruise.

Dabei ist es gar keine politische Ideologie, die hier propagiert wird – abgesehen natürlich von dem Standpunkt, daß das Militär eine schnuckelige Angelegenheit ist, in der exzellente Männer auch menschlich noch wachsen können. Die Feinde in TOP GUN sind anonym, dunkle Flugzeuge mit nicht identifizierbaren Gestalten darin – vielleicht Russen, vielleicht Koreaner, aber eigentlich nur kontextlose Gegner, die von den amerikanischen Elitefliegern in ihre Schranken verwiesen werden. Perfekte Werbung für die Army ist das nicht nur deswegen, weil der Film das ganze Leistungsnarrativ der Dekade, die Sieg-durch-Optimierung-Idee dieser Ära so punktgenau einfängt – nein, der Hauptgrund, warum TOP GUN so verführerisch funktioniert, ist die Tatsache, daß sich hier die ganze Welt in all ihren Ereignissen hauptsächlich um die Charakterbildung eines einzelnen Individuums dreht. Nicht ganz zufällig ist dieses Individuum die Hauptfigur, mit der wir uns identifizieren.

Er heißt nicht umsonst "Maverick", der Einzelgänger, der hier als talentierter Pilot an die Eliteschule Top Gun geholt wird, um dort eine Sonderausbildung zu erhalten. Maverick macht die Dinge auf seine Weise, begleitet von seiner treuen zweiten Geige "Goose", die sich stets brav unterordnet. Schon zu Beginn sehen wir, wie Maverick Befehle seines Vorgesetzten mißachtet, um einem Pilotenkollegen zu helfen. Natürlich sind wir auf seiner Seite, obwohl eine Militärstruktur mit derartigem Gutdünken eines Einzelnen nie funktionieren könnte – aber Mavericks Können gibt ihm auch im Film Recht. Er wird von seinen Vorgesetzten zurechtgewiesen, aber niemals ohne die Vergewisserung, daß er einer ihrer besten Piloten sei. Exzellenz schafft Privilegien.

Spannungen zwischen Iceman (Val Kilmer, links) und Maverick (Tom Cruise).

Im Top-Gun-Programm darf sich Maverick mit anderen herausragenden Könnern messen, darunter der korrekte Iceman, der Mavericks Draufgängertum als gefährlich einstuft. Im wahren Leben wäre Iceman derjenige mit den wünschenswerten Charaktereigenschaften, hier aber ist er der ungläubige Thomas – ein kalter Unmensch, der Mavericks Brillanz noch nicht erfaßt hat. Er wird zum Schluß respektvoll den Hut vor dessen Fähigkeiten ziehen dürfen.

Mavericks Kummer beginnt, als er an sich selbst zu zweifeln beginnt. Bei einem Unfall stirbt sein Partner Goose, weshalb Maverick seine Leichtfüßigkeit verliert. Der Tod seines Freundes stürzt ihn in eine Sinnkrise – nicht etwa, weil er mit dem Verlust hadert, sondern weil er ab sofort an seiner eigenen Unbesiegbarkeit zweifelt. In TOP GUN ist ein Todesfall nicht tragisch, weil ein Mensch stirbt, sondern weil ein anderer deswegen sein bislang ungebrochenes Selbstvertrauen verliert.

Spannungen anderer Art zwischen Maverick und Ausbilderin Charlie (Kelly McGillis).

Zum Glück darf die Welt zusammenarbeiten, den jungen Piloten wieder auf die richtige Spur zu bringen und aus ihm den besten Piloten zu machen, der er ohnehin schon war. Die Ausbilderin Charlie, seinem Charme schon längst verfallen, redet ebenso auf ihn ein wie Kommandant Viper, der Maverick zuvor sogar schon für seine Arroganz gelobt hat. Selbst die Witwe von Goose sieht es offenbar als ihre primäre Aufgabe, Maverick aufzubauen: "God, he loved flying with you, Maverick", versichert sie ihm schluchzend, als er ihr nach Gooses Tod seine Aufwartung macht.

TOP GUN ist wie ein mißverstandener Entwicklungsroman, in dem die ganze Welt nur in Bezug auf einen selbst existiert, und Maverick als Zentrum dieser persönlichkeitsstärkenden Ereignisse der quintessentielle Held der amerikanischen Achtziger. Reagan versprach unerschöpfliches Wachstum, Anstrengungen würden mit Gewinn belohnt werden. In der tatsächlichen "Top Gun"-Schule gibt es keinerlei Trophäe zu gewinnen, aber der Film läßt sich von solchen Wirklichkeitsdefiziten kaum bremsen: Hier zählen Leistung und Ehrgeiz, das Leben ist ständiger Wettkampf. "No points for second place", wie es an einer Stelle heißt. Amerika liebt nur die Sieger.

"I feel the need ... the need for speed."

Es ist nur allzu passend, daß Regisseur Tony Scott zuvor als Werbefilmer arbeitete: Seine Bilder für TOP GUN sind eine einzige Verkaufsshow. Sie verkaufen den Traum vom Aufstieg, den Traum vom Sieg, die Erfüllung aller Sehnsüchte nach Abenteuer und persönlicher Verwirklichung. Die Sonne überflutet jeden Moment, und selbst in die nüchternen Büros der Navy dringt das grelle Licht so optimistisch gleißend, daß der Griff zu den ikonischen Ray-Ban-Sonnenbrillen ganz natürlich scheint. Scott sah die jungen Piloten als "rock'n'roll stars" und setzt sie dementsprechend in Szene: Wie Werbung gerne eine Illusion von Lebensgefühl evoziert, wirkt auch das Leben als Kampfpilot in TOP GUN wie ein immerwährender Sommer an einem Ort, an dem man seinen Platz im Leben findet.

Mit der Ästhetik von TOP GUN beeinflußten Scott und die Produzenten Jerry Bruckheimer und Don Simpson maßgeblich das Kino der Achtziger und diverse spätere Action-Blockbuster. Auch inhaltlich hinterließ der Film seine Spuren – als perfekt designtes Popcorn-Spektakel schuf er sich seine eigene Nische in der Popkultur, trug aber auch zur Formelhaftigkeit und Substanzlosigkeit folgender Produktionen bei. Vielleicht regt der Film an, eine Ausbildung zum Piloten zu machen – aber bestimmt keine zum Drehbuchautoren.


Morgen folgt Teil 2 der TOP-GUN-Retrospektive: Ein Gespräch mit Dachboden-Gastautor Dr. Wily über den Soundtrack des Films (hier). Übermorgen schließe ich die Retrospektive mit einem Blick auf den Look von Kelly McGillis bzw. ihrer Filmfigur ab (hier).





Top Gun - Sie fürchten weder Tod noch Teufel (USA 1986)
Originaltitel: Top Gun
Regie: Tony Scott
Buch: Jim Cash & Jack Epps Jr.
Kamera: Jeffrey Kimball
Musik: Harold Faltermeyer
Produktion: Jerry Bruckheimer & Don Simpson
Darsteller: Tom Cruise, Kelly McGillis, Val Kilmer, Anthony Edwards, Tom Skerritt, Michael Ironside, John Stockwell, Barry Tubb, Rick Rossovich, Tim Robbins, James Tolkan, Meg Ryan, Adrian Pasdar

Die Screenshots wurden von der deutschen BluRay (C) 2009 Paramount Pictures genommen.

Der Soundtrack von TOP GUN: Sexualität und Synthesizer

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In der Reihe "Class of 1986" widmet sich Wilsons Dachboden zwölf Filmen, die dieses Jahr ihr 30-jähriges Jubiläum feiern. Nach meinen generellen Überlegungen zu TOP GUN (hier) folgt hier ein Gespräch mit meinem treuen Gastautor Dr. Wily über den dazugehörigen Soundtrack.

Der Soundtrack zu TOP GUN war ein ebensolcher Megahit wie der Film selber: Er kam auf Platz 1 der amerikanischen Billboard-Charts, ebenso wie die Single "Take My Breath Away" von Berlin, während der Hauptsong "Danger Zone" von Kenny Loggins immerhin Platz 2 erreichte. Das Album wurde in den Staaten neunfach mit Platin ausgezeichnet, verkaufte sich also alleine dort über 9 Millionen Mal. Vom internationalen Erfolg ganz zu schweigen - auch zum Beispiel in Deutschland und der Schweiz schaffte es die Platte an die Spitze der Charts.

Im folgenden Gespräch sitze ich mit Dr. Wily zusammen, um zu untersuchen, wie der Sound des Albums zum Film paßt, welche Themen verarbeitet werden, und wie die Platte den Geist der Zeit widerspiegelt.

Dr. Wily: Ich muß ja sagen: Der hat uns ja damals ziemlich gut gefallen. Heute ist die Musik eine Zeitkapsel, wenn du wissen willst, wie Radio-Rock und Pop-Balladen der Achtziger geklungen haben.

Genzel: Absolut, ja. Die Hälfte der Tracks sind von Giorgio Moroder geschrieben und produziert - und Moroder hat diesen Sound ja auch nachhaltig mitgeprägt, durch den FLASHDANCE-Soundtrack und die Songs, die er für Blondie und David Bowie und so weiter produziert hat. Das Album fängt den Sound der Ära auch deshalb so gut ein, weil da ein Mann dahintersteckt, der ihn mitgestaltet hat.

Wieviel hat Harold Faltermeyer beigesteuert?

Faltermeyer hat nur zwei Songs produziert: "Mighty Wings" von Cheap Trick und "Destination Unknown" von Marietta. Dafür natürlich den Score und die "Top Gun Anthem". Von Moroder sind "Danger Zone", "Lead Me On" von Teena Marie, "Take My Breath Away", "Hot Summer Nights" von Miami Sound Machine und "Through the Fire" von Larry Greene. Ich finde die Produktionen von Moroder etwas interessanter, weil sie etwas individueller sind als die von Faltermeyer – aber die sind ja beide aus einem Stall. Faltermeyer war lange Jahre der Arrangeur von Moroder, deshalb ist da nicht extrem viel Unterschied zu merken.

Wahre Achtziger-Überlebende hören den Soundtrack stilecht auf Tape.

Ein guter Teil dieser Songs geht ziemlich rein, das sind ziemliche Ohrwürmer. Das ist wirklich nicht schlecht geschrieben. Steile und große Melodien. Der Sound ist halt Plastik … entweder findet man das charmant oder halt vollkommen kitschig und künstlich. Er ist so oberflächlich wie der Film selber.

So gesehen also eigentlich adäquat. Aber für mich reduziert sich der Soundtrack nur auf eine Handvoll Tracks, weil ich so viele Songs so unglaublich anonym finde – nicht nur deshalb, weil es egal ist, wer sie singen könnte. Das ist ja auch bei den starken Songs der Fall. Wir wissen, daß da erst die Songs gemacht wurden und dann geschaut wurde, wer die singen könnte – "Danger Zone" wäre fast von Toto gemacht worden, und dann war's halt doch Kenny Loggins. Also, ich finde "Danger Zone" gut und "Playing with the Boys"– die gehen wirklich rein. "Take My Breath Away" ist ein wirklicher Hit. Jenseits dieser Songs …

Und "Mighty Wings"! Und das TOP-GUN-Thema.

Ja, die sind schon okay. Aber dann: "Hot Summer Nights", oder dieser Loverboy-Song, "Heaven in Your Eyes". Oder Larry Greene, "Through the Fire"– hast du den jetzt im Ohr, nachdem du eben erst den Soundtrack gehört hast?

Nein (lacht).

Eben. Oder Marietta, "Destination Unknown". Das ist ja nicht nur Wegwerf-Pop, das ist Ein-Ohr-rein-und-beim-anderen-raus-Pop.

Aus dem Berlin-Video "Take My Breath Away".

Aber er paßt super in den Verlauf vom Album. Es stimmt natürlich – "anonym" ist eine gute Bezeichnung. Aber es funktioniert irgendwie wie ein Album. Die Songs wurden alle extra für diesen Soundtrack geschrieben und produziert - da war kein einziger Song dabei, der schon woanders veröffentlicht war und den jemand hergegeben hat. Manche Musiker haben ja abgelehnt - zum Beispiel Bryan Adams.

Hat er einen Grund angegeben?

Er hatte mit der kriegsverherrlichenden Message des Films Probleme. Judas Priest dagegen haben geglaubt, daß der Film ein Flop wird.

Jedenfalls fällt mir jetzt kein anderer Soundtrack ein, der mit Rock-Songs und Pop-Songs funktioniert, die alle im Vorfeld komponiert wurden, und dann erst wurden Musiker dafür gesucht.

Ich nehme an, bei FLASHDANCE war das genauso, das war drei Jahre vorher. Da hat auch Moroder einiges gemacht. Die Songs sind meines Wissens auch alle für den Film entstanden.

Was bei FLASHDANCE aber noch ein bißchen mehr Sinn macht, oder?

Weil's ein Tanzfilm ist, natürlich. Es wird zu dieser speziellen Musik performt. Es war ja so ein Prinzip, das erst in den Achtzigern wirklich aufgekommen ist, daß sich diese Filme so extrem über die Soundtracks verkaufen. Daß du Hitsongs hast, wegen denen die Leute diesen Film dann sehen wollen, weil die Lieder auch mit dem Thema oder dem Gefühl des Films zusammenhängen. Natürlich gab's auch davor immer mal Songs, die so eingesetzt wurden, vor allem bei Musicals, aber die Produzenten Jerry Bruckheimer und Don Simpson haben sehr stark darauf gesetzt – sie haben sich für die Inszenierung der Filme Musikvideoregisseure und Werberegisseure gesucht und die Soundtracks der Filme dann auch so gestaltet, daß sie einen eigenen Werbeeffekt haben.

Und da passen ja die ganzen Songtitel dazu: Als würde jeder Song ein Thema des Films aufgreifen. "Danger Zone"– mich würd's nicht wundern, wenn es in der Fliegersprache tatsächlich so etwas wie eine "Danger Zone" gibt. Das zweite ist "Mighty Wings", es geht um Kampfflugzeuge. "Playing with the Boys"– ein Club aus Männern, die einen Riesenspaß haben. Du schreibst in deinem Review, es ist der immerwährende Sommer im Ausbildungscamp, das sind die "Hot Summer Nights". "Heaven in Your Eyes" und "Take My Breath Away", das sind die Lovesongs für die Liebesgeschichte. "Through the Fire", "Destination Unknown", die funktionieren sogar doppelt: Die Kampfpiloten fliegen als Soldaten in eine Prüfung, ins Unbekannte - aber dann gibt es das andere Thema mit dem Selbstvertrauensverlust und dem persönlichen Weg. Jetzt haben wir genau einen Song nicht genannt: "Lead Me On".

"Lead Me On" spielt in der Bar, bevor Tom Cruise Kelly McGillis kennenlernt – und er weiß ja da noch nicht, daß sie die Ausbilderin ist. Da paßt also in gewissem Sinne auch "Lead Me On".

Alles paßt vom Titel thematisch zum Film – oberflächlich und plump, da gibt es nichts Subtiles und keinen Subtext.

Kenny Loggins singt "Danger Zone".

Aber gleichzeitig sind die Titel alle so vage, daß sie auf unglaublich viel passen würden. Wir könnten ohne Mühe drei andere Filme finden, zu denen all diese Titel auch halbwegs passen. "Danger Zone", das kannst du für SPEED auch hernehmen. Gerade bei diesem "Danger Zone" merkt man so eine gewisse Mimikry. Der Track tut so, als wäre er total gefährlicher Rock'n'Roll – und das ist er ja überhaupt nicht, sondern eine total sichere und schön verpackte Nachstellung davon.

Das macht aber der Sound.

Nicht nur der Sound, auch die Tatsache, daß Kenny Loggins den Track singt, und die Tatsache, daß an der ganzen Songkonstruktion nichts aus irgendeinem Schema herausbricht – es ist nichts gefährlich an dem Song. Auch wenn man den mit einer richtigen Rockband und anderem Sound covern würde, wäre dieser Song trotzdem ein kreuzbraver Radio-Rocksong.

Stimmt, ja, weil er unglaublich viel Melodie hat. Ich stelle mir gerade vor, wenn das eine schnurgerade Rockband machen würde ... wenn zum Beispiel Motörhead das spielen würden, würde es wie ein Popsong klingen, weil er viel zu viele Melodiekurven hat, lauter schöne Melodiebögen und Ohrwurm-Hooks.

Hier hast du auch die Verbindung von Synthesizern und Gitarren, wo das Ziel ja damals war, diese Sounds so ähnlich klingen zu lassen, daß man nicht mehr weiß, was was ist. Das fand ich immer interessant: den Synthesizer als erkennbares eigenes Instrument. Er soll ja eigentlich so klingen, als wäre es ein anderes Instrument - aber gerade in dieser Zeit ist er als eigener Sound verwendet worden, bei dem man auch erkennen soll, daß das ein Synthesizer ist. Was mittlerweile ja nicht nur im Indie-Bereich auch wieder so hergenommen wird: Da wird gar nicht versucht, einen Synthesizer möglichst organisch, "instrumentengleich" klingen zu lassen.

Da bin ich mir gar nicht so sicher. In den Siebzigern war der Synthesizer einfach aufgrund der technischen Limitationen immer ein extrem künstliches Instrument – du hast gehört, daß das kein "natürliches" Instrument ist, sondern künstlich erzeugter Klang. In den Achtzigern hat diese Vermischung aber sehr wohl stattgefunden – wie du ja gesagt hast, sollte das nicht mehr so differenziert werden: Ist das eine Gitarre oder ein Synthesizer? Auch die echten Drums klangen teils so synthetisch wie die programmierten. Da wurde auf einen Sound gesetzt, bei dem man nicht mehr mitkriegen soll, was davon synthetisch ist und was nicht – Synth-Streicher zum Beispiel sollten auch nach echten Streichern klingen. Schau im "Top Gun Anthem"-Video, wie Harold Faltermeyer am Piano sitzt, obwohl man wirklich hört, daß das kein Piano ist.

Harold Faltermeyer am Piano für das "Top Gun Anthem".

Ich stelle mir grad vor, die hätten damals den Soundtrack ohne Synthesizer aufgenommen und "organische" Instrumente dafür hergenommen – das hätten die nicht gemacht, weil sie diesen Klang nicht wollten. Der Synth-Sound war der Multimillionen-Dollar-Sound 1986.

Der ja auch zum Designerlook des Films paßt. Es hat alles eine gewisse Künstlichkeit, alles ist sehr schick und sehr modern – das darf man ja nicht vergessen, damals war dieser Klang einfach modern, eine Mode.

Voll am Puls der Zeit.

Ja. Eine Ästhetik, die man so eingesetzt hat, wenn das cool, neu, aktuell wirken sollte. Eben: Du hast dann so eine ältere Band wie Cheap Trick, eigentlich eine Siebziger-Jahre-Rockgruppe mit Glam-Touch, und hier kriegen die dann auch diesen Synthesizer-Sound, damit die mit der Zeit gehen. Diesen breiigen Sound.

Dazu ganz viel Hall auf der Stimme, damit's richtig groß klingt, nach Stadion. Die Drums sind riesig – und klingen gleichzeitig so hohl.

Ich habe mir auch die Texte mal ein bißchen angeschaut. Es ist interessant, daß die immer wieder sexuell aufgeladen werden. Schon bei "Danger Zone": "Metal under tension / Begging you to touch and go". Cheap Trick singen dann "Take me on your mighty wings tonight". Und wenn man das einmal gemerkt hat, dann wird das fast wie so eine Parodie: "You'll never know what you can do / Until you can get it up as high as you can go". Später dann natürlich: "Playing with the Boys".

Bist du dir sicher, daß die gemerkt haben, daß das auch anders gelesen werden kann?

Also, im Song heißt es: "Bodies working overtime / One of life's simple joys is playing with the boys". Aber natürlich, die haben das nicht ironisch gemeint.

Da sind wir bei einem interessanten Thema: Wieviel Homoerotik findet da eigentlich statt, ohne daß die Männer das überhaupt merken?

Das ist wie bei den Metalbands der Achtziger, mit den ultraengen Lederhosen und den nackten, schwitzenden Körpern, die sich beim Konzert auch noch aneinanderreiben – man sieht das ja auch hier in dem Loverboy-Video, das trotz Balladen-Song genau so aufgezogen ist. 

Tony Scott sagt über die Volleyballszene ja auch schmunzelnd, das sei "soft porn".

Scott erzählt im Making-of auch von einem Photoband, der ihn sehr beeindruckt hat. Da hat ein Photograph namens Bruce Weber Männer in der Armee abgelichtet, schwarz-weiß und oft mit nackten Oberkörpern. Das hatte auch einen sehr homoerotischen Einschlag und war auch so intendiert. Und Tony Scott hat sich an diesem Look orientiert, an diesen schönen Körpern und wie die inszeniert wurden. Wenn man das alles zusammenfügt, ist der Schritt zu der Tarantino-Parodie in SLEEP WITH ME relativ gering – die Szene, wo er als Partygast darüber redet, daß es in TOP GUN eigentlich um Mavericks Kampf mit seiner eigenen Homosexualität geht. Da ist schon viel Knistern unter Kerlen.

Eine Photographie von Bruce Weber, über die Tony Scott im Making-of von TOP GUN redet.
Und niemandem ist aufgefallen, daß bei diesem Feiern der Männlichkeit auch noch etwas anderes mitschwingt. Aber da sind auch ein paar Songs dabei, die sich eigentlich an der Oberfläche nicht auf die Männergemeinschaft in der Armee oder auf die Liebesgeschichte mit Kelly McGillis beziehen, sondern auf die Fliegerei – und das Fliegen eines Kampfflugzeugs, den Steuerknüppel in der Hand, das hat hier etwas Erotisches. Das kann erregend sein, wenn ich durch die Lüfte gleite und irgendwen abballere.

Ja, es wird auf das Adrenalin, auf das Gefühl reduziert – und da paßt es auch, daß der Text von "Danger Zone" von Tom Whitlock geschrieben wurde, der Moroders Ferrari-Mechaniker war. Ein Automechaniker, der über die Sinnlichkeit eines röhrenden Motors schreibt.

Es ist schon interessant: Wenn man sich anschaut, wie Film und Soundtrack entstanden sind – das sind eigentlich Produkte. Von einem künstlerischen Anspruch oder einem künstlerischen Ausdruck ist ja da nicht zu reden – das sind Produkte, wo alles ineinandergreifen soll. Die Filmästhetik ist an Werbeästhetik angelehnt, die Musikvideoästhetik lehnt sich an die Filmästhetik an – bei Kenny Loggins sieht man bei gewissen Shots nicht, ob das aus dem Film oder aus dem Musikvideo ist. Die Songs sind oberflächlich und voll auf dem Zeitgeist, setzen auf das, was massenmäßig im Radio lief und verkauft wurde. Ein völliges Produkt – und heute hört man sich das an und kriegt wie bei einer Zeitmaschine einen Eindruck, was damals populär war. Sie haben also doch künstlerisch etwas eingefangen – aber das war nie ihre Intention.


Der abschließende Teil unserer TOP-GUN-Retrospektive geht morgen online: Ein Blick auf den Look von Kelly McGillis bzw. ihrer Figur (hier).




Die Screenshots wurden aus dem Bonusmaterial der deutschen BluRay (C) 2009 Paramount Pictures genommen. Das Photo des Tapes stammt von Dr. Wily.

Das elegant-lässige Styling von Kelly McGillis in TOP GUN

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In der Reihe "Class of 1986" widmet sich Wilsons Dachboden zwölf Filmen, die dieses Jahr ihr 30-jähriges Jubiläum feiern. Nach meinen generellen Überlegungen zu TOP GUN (hier) und dem Gespräch mit Dr. Wily über den Soundtrack des Films (hier) soll jetzt noch ein Spotlight auf den Look von Kelly McGillis geworfen werden.

So viel Arbeit, wie Tony Scott in die visuelle Präsentation von TOP GUN gesteckt hat - jedes Bild ist mit dem Auge eines Werbefilmers perfekt designt - so viel Zeit verbrachte er auch damit, die weibliche Hauptfigur zu stylen. Im Making-of erzählt Produzent Jerry Bruckheimer: "Tony spent an enormous amount of time on her look. He hired some of the best fashion stylists to work on her, and make-up artists, and hair people - really putting an enormous amount of energy into how good she looked in the movie, and how good he wanted her to look in the movie."

Schauen wir also mal an, wie Kelly McGillis (bzw. die Ausbilderin Charlie, die sie spielt) im Film auftritt und präsentiert wird:



Bei ihrem ersten Auftritt als Ausbilderin im Hangar trägt McGillis ein schickes Business-Outfit, das gleichzeitig sexy und professionell wirkt, aber nicht zu streng. Ein weiter, dunkler Blazer (offenbar ohne Knöpfe), dazu einen Bleistiftrock, Nahtstrümpfe und schwarze High Heels - und als Gegengewicht ein weißes T-Shirt unter dem Blazer. Das Shirt unterstreicht eine gewisse Bodenständigkeit und Coolness - die Frau ist souverän und will ernstgenommen werden, aber das nicht krampfhaft. Lässig wirkt das Outfit auch deshalb, weil die Ärmel des Blazers hochgekrempelt sind.

Abgesehen von den breiten Schultern des Blazers ist der Look sehr klassisch - vor allem durch seine Farben. Dazu passen auch die nicht ganz schulterlangen blonden Haare und der rote Lippenstift - trotz anderer Frisur erinnert das ein wenig an Marilyn Monroe.



In der Szene davor, wo Maverick sie in der Bar kennenlernt, wirkt Charlie gar nicht so gestylt: Sie trägt ein legeres weißes Polohemd, mit einem roseefarbenen Pullover über die Schultern gehängt, und Jeans dazu. Interessant, daß sie sich zum Fortgehen weniger bzw. dezenter herrichtet als zum Briefing - aber es funktioniert dramaturgisch fein, daß man sie als natürlich und ansprechbar wirkende Frau kennenlernt und dann erst in der nächsten Szene als höhergestellte Expertin präsentiert bekommt, die keinen Grund hat, von Mavericks Angeberei beeindruckt zu sein. (Leider ist der Film hier, wie in so vieler Hinsicht, sehr inkonsequent - so sehr Charlie Maverick anfangs abblitzen läßt, so sehr zündet sein selbstgefälliges Pfauentum letztlich doch noch und sie ordnet sich brav und verliebt unter, ohne daß er sich hätte wandeln müssen.)

Übrigens mag Charlie hier leger wirken, aber Stil beweist sie trotzdem: Man beachte die kleinen Tupfer, die ihr dezenter Goldschmuck setzt - die goldene Armbanduhr links, ein Armreif rechts, und ein auf "halb acht" getragener Ring.




Bei sich zuhause ist Charlie noch etwas legerer gekleidet: Wie man am unteren Bild sieht, trägt sie ein leichtes weißes Oberteil, über das sie ein weites, offenes weißes Hemd gezogen hat. Dazu Jeans und rot-braune Stiefel - letztere vielleicht (vor allem durch die Absätze) nicht unbedingt etwas, das man daheim tragen würde, aber immerhin handelt es sich ja um ein Rendezvous mit Maverick, bei dem sie doch schick wirken will. So oder so unterstreichen die Cowboy-haften Stiefel einmal mehr ihre Lässigkeit. Am rechten Arm ist wieder der Armreif zu sehen - und im oberen Bild sieht man einen schönen Goldring an der rechten Hand: Ein einfaches Design, bei dem Linien über Kreuz gehen. Auch das wirkt dezent und zeitlos.



Das weiße Shirt kombiniert Charlie teilweise auch mit einem weiten grauen Blazer - ebenfalls recht elegant, aber vom Kontrast her nicht so stark wie der dunkle Blazer. Man merkt schon: McGillis trägt immer ein weißes Oberteil, das dann wahlweise mit etwas kombiniert wird, das sie darüberzieht. (Nur in einer Szene, die hier nicht abgebildet ist, trägt sie eine roseefarbene Bluse: Die Sequenz in der Bar, wo Goose am Piano sitzt und alle "Great Balls of Fire" singen. Vielleicht ist es bezeichnend, daß das eine Szene ist, in der sie eher Randfigur ist.)

In einer Szene sieht man McGillis auch mit Brille - immerhin hat ihre Figur ja einen Doktor in Astrophysik!



Und noch ein großartiger Look: Eine weiße Bluse, dunkler Bleistiftrock, goldene Armbanduhr und ein Kettchen am Handgelenk - und dazu eine offene Lederjacke mit Insignien, die Ärmel erneut hochgekrempelt. Wie beim ersten Outfit wird hier Eleganz mit etwas Lockerem kombiniert: Dort war es der korrekte Blazer, unter dem McGillis ein T-Shirt trug, hier ist es mit Bluse und Jacke quasi umkehrt.

Am oberen Bild sieht man übrigens, wie sehr Tony Scott (und sein Kameramann Jeffrey Kimball) mit dem Blick von Werbe-Photographen arbeiten: Die hintereinandergereihten Säulen mit den streng vertikalen Linien würden tatsächlich auch einen fantastischen Hintergrund für eine Modestrecke abgeben.



Nochmal die Lederjacke, der man hier schön ihren Vintage-Look ansieht, darunter das weiße T-Shirt. Das schwarze Käppi trägt McGillis deshalb, weil die Szene erst bei einem Nachdreh entstand und kaschiert werden mußte, daß sie sich die Haare hatte schneiden lassen - dennoch paßt es natürlich zu Charlies lässigen Auftritt.

In der Nahaufnahme sieht man übrigens, daß auch ihr Ohrschmuck sehr dezent gestaltet ist - einfache, goldene Kügelchen. Dafür sind ihre Augen hier mit mehr Wimperntusche betont als in den anderen Szenen.



Und noch ein letztes Mal die coole Lederjacke und das weiße Shirt darunter. Hier ist beides mit einer Jeans kombiniert (nicht im Bild - aber man sieht die Jeans, wenn sie reinkommt und wenn sie wieder aufsteht).

Im Making-of erinnert sich Tony Scott, wie die Verantwortlichen bei Paramount skeptisch darüber waren, wie sexy Kelly McGillis im Film aussieht: "They kept saying to me, 'Stop making Kelly look so good, or so glamourous!'. They thought I had a Madonna/whore complex, putting Kelly in seam stockings, and she was really nasty in these 9 inch pumps and all this make-up on her." Schauspieler Michael Ironside hat Ähnliches gehört: "There's one comment I'd heard second-hand – that they thought Kelly in fact looked a bit like a streetwalker and less like a very highly regarded technician from Washington."

Natürlich ist das kompletter Quatsch - McGillis wirkt auf elegante und lässige Weise sexy, aber nie auf anbiedernde oder billige Art. Denkbar ist natürlich, daß solche Kommentare daher rühren, daß sie für das Empfinden der Militärberater zu sehr gestylt war - im wirklichen Leben sehen die zivilen Ausbilderinnen im Alltag höchstwahrscheinlich weniger schick und glamourös aus. Aber die Navy von TOP GUN hat ja mit der echten Navy wenig zu tun - es ist eine Designerversion davon, eine Werbe-Navy, und die wird natürlich auch dadurch begehrenswert, daß ihre Mitglieder wie Models ausgesucht und inszeniert werden. Vergessen wir mal nicht, daß auch die TOP-GUN-Männer wie aus dem Fashion-Katalog wirken.

Schauen wir uns zum Schluß nochmal an, wieso Scott und Kimball auch hochbezahlte Mode- und Lifestyle-Photographen hätten werden können: das Licht, die Pose, die Gegenstände - ein Bild, das die Erfüllung diverser Sehnsüchte suggeriert. So wie der Film als Ganzes.


Vielen Dank an Nina Wewerka für ihren Input. 
Damit beenden wir die "Class of 1986"-Retrospektive zu TOP GUN. Nächsten Monat geht es weiter mit einem etwas intensiveren Actionspektakel: James Camerons ALIENS.




Die Screenshots stammen von der deutschen BluRay (C) 2009 Paramount Pictures.

Lichtspielplatz #2 - Quentin Tarantino und THE HATEFUL EIGHT

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Nur 8 Tage nach der ersten Folge geht auch schon ein neuer Lichtspielplatz online! Im zweiten Teil rede ich zusammen mit meinem fachkundigen Gastautor Dr. Wily über THE HATEFUL EIGHT. Wir ordnen den Film in Tarantinos Werk ein, reden über seine Herangehensweisen und Ideen und debattieren, welche Entwicklungen es in seinem Schaffen gibt.


Der Podcast kann auch HIER direkt als mp3 heruntergeladen werden.

Musik: Clark Kent: "Woodridge"

Der Podcast wird auf Bandcamp (hier) gehostet.

Lichtspielplatz #6 - STEVE JOBS

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In Folge #6 des Lichtspielplatz-Podcasts sprechen Dr. Wily und ich intensiv über Danny Boyles STEVE JOBS - und nebenbei auch ein wenig im Vergleich über JOBS von Joshua Michael Stern. Wir reden über filmische Konzepte und die Wichtigkeit von Beziehungen, Vaterrollen und Kontrolle, Biographie und Drama - und versuchen auch, JOBS ins größere Bild der sonstigen Danny-Boyle-Filme und der Arbeiten von Aaron Sorkin einzuordnen.

Viel Spaß!



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Lichtspielplatz #7 - EVERYBODY WANTS SOME!!

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Nur sechs Tage nach unserer letzten Folge folgt auch schon der nächste Lichtspielplatz! Diesmal beschäftigen wir uns mit dem neuen Film von Richard Linklater, EVERYBODY WANTS SOME!! - einer "Fortsetzung im Geiste" zu seinem frühen Ensemblefilm CONFUSION - SOMMER DER AUSGEFLIPPTEN (DAZED AND CONFUSED). Wir schweifen zu anderen Linklater-Streifen wie BEFORE SUNRISE und BOYHOOD, reden über Experimente und Lebensabschnitte, stellen Vergleiche mit Jim Jarmusch und Cameron Crowe an - und versuchen, das schöne Wort "Slacker" einzukreisen.

Viel Spaß!




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BAD BOY KUMMER: Die besten Interviews, die die Stars niemals gegeben haben

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Im Gespräch mit ihm offenbarte Actionstar Charles Bronson seine Liebe zu Orchideen, Nicolas Cage zitierte Rainer Werner Fassbinder und Sean Penn sinnierte über den Philosophen Søren Kirkegaard und die "kreative Langeweile": Tom Kummer hatte in den Neunzigern die spannendsten und verblüffendsten Interviews mit den großen Stars. Er zeigte sie ganz persönlich und menschlich, führte interessante Konversationen statt phrasenbehafteter PR-Plappereien. Der Haken? Die Interviews waren komplett erfunden.

Ganze vier Jahre lang versorgte der Schweizer Kummer von Los Angeles aus namhafte deutsche Publikationen mit solch wundervollen Dialogen. Brad Pitt berichtete, wie er beim Bergsteigen die "innere Leere"überwunden habe, Sharon Stone dagegen offenbarte lesbische Phantasien. Abgedruckt wurden die Gespräche in Blättern wie dem Spiegel, dem Focus oder dem SZ-Magazin.

2000 flog Kummer auf. Er zog sich zurück und arbeitete in Los Angeles als Tennislehrer. Einige Jahre später drehte Miklós Gimes mit BAD BOY KUMMER einen Dokumentarfilm über die Geschichte; Gimes war früher stellvertretender Chefredakteur beim Tages-Anzeiger-Magazin, für das Kummer als Hollywood-Korrespondent fabulierte. Im Film spricht Gimes mit anderen Medienvertretern, die von Kummer betrogen wurden, und auch ausführlich mit Kummer selbst, um nachzuforschen, was da eigentlich passiert war. Die unausgesprochene Frage, die in Gimes' Film mitschwingt, ist klar: Was hat sich Kummer bei einer solch bizarren Betrügerei, die früher oder später auffliegen musste, nur gedacht?

Tom Kummer (links) wird von seinem ehemaligen Tempo-Chefredakteur Markus Peichl konfrontiert.

Leider tut der falsche Fuffziger niemandem den Gefallen, sich groß zu rechtfertigen – oder überhaupt für sein Lügenspiel große Reue zu zeigen. Wie ein leicht ramponierter Sonnyboy sitzt er da, lächelt manchmal, wirkt nicht unsympathisch – aber auch nicht wirklich greifbar. Er bezeichnet seine Interviews manchmal als Trash, manchmal als Kunst, aber zuckt dazu auch mit den Schultern, als wüßte er gar nicht, was die ganze Aufregung soll. Manchmal schimmert in seinen Erzählungen etwas durch, aus dem man sich dann ein Psychogramm weiterpuzzeln kann: Ja, berichtet er, das war schon aufregend, als nach dem ersten großen Interview plötzlich so viele Aufträge hereinkamen.

So tanzen alle Beteiligten – in gewissem Sinne auch der Regisseur – hier um ein großes schwarzes Loch, von dem sie sich irgendwelche Antworten erhoffen. Ehemalige Kollegen und Chefredakteure sitzen da und erinnern sich, empören sich, erkundigen sich, aber Kummers Reaktionen sind ihnen nie genug – wahrscheinlich, weil sie eigentlich ein umfassendes Geständnis samt Bußbereitschaft haben wollen. Einer mutmaßt sogar, daß die Ungeheuerlichkeit der Tat so groß ist, daß Kummer schlichtweg nicht damit umgehen kann und deswegen ausweicht.

Die Kummer-Geschichte wirft aber auch eine eigentlich viel interessantere Frage in den Raum: Warum hat so lange Zeit niemand gemerkt, dass die Interviews gefälscht sind? Rückblickend betrachtet klingen die Geschichten fast wie Parodien – etwa, wenn Boxchamp Mike Tyson über Nietzsche redet und Sätze wie "Wissen schafft Stabilität" von sich gibt. Immer wieder weisen Gesprächspartner darauf hin, wie sie bei gewissen abgedruckten Stories mißtrauisch wurden – aber vielleicht wollen sie jetzt nur vermeiden, naiv zu wirken.

Mit diesem Pamela-Anderson-Interview fing alles an: Der BAYWATCH-Star erzählte hier unter anderem,
wie die Jungs von Mötley Crüe gern ihre BHs und High-Heels tragen.

"Kummers Welt ist eine bessere", schrieb Nils Minkmar am 25. Mai 2000 für die Zeit. "Bei Kummer hat jeder gewonnen: Die Stars bekamen schöne Titelgeschichten, wirkten intelligent und belesen. Die Magazine bewiesen ihre doppelte Kompetenz, populär und intelligent zu wirken, und den Lesern wurde zurückprojiziert, was sie sich schon immer heimlich gewünscht hatten: dass es gute, moralisch und philosophisch redliche Gründe dafür gibt, sich für Stars zu interessieren, außer ihrem Erfolg und Aussehen."

Genau das ist der Kern der Kummerschen Falschmünzerei: Er verstand es, Bedürfnisse zu befriedigen. Wir wollen, daß unsere Stars clever, weltoffen und auch abseits ihrer Talente spannende Menschen sind. Wir wollen Persönliches von denen hören, die wir nie persönlich kennenlernen werden. Wir wollen nicht, dass sie die Werbemühle drehen wie jeder Marktschreier, der seinen Fisch loswerden will. Wir wollen nur dann, daß sie "normal" sind, wenn sie drumherum außergewöhnlich sind, weil wir ja sonst von unseren Nachbarn träumen könnten. Wir wollen unsere Wünsche auf sie projizieren können.

Nicht umsonst waren Kummers Texte immer auch ein Spiel mit dem Bild, das wir von den Stars haben: Ausgerechnet Charles Bronson, der mit steinerner Miene Film um Film brutal die Colts sprechen ließ, schätzt die Schönheit von Orchideen. Das schafft sanfte Ironie, spannende Reibung, da will man mehr wissen. Umgekehrt würden wir von Sharon Stone, die in BASIC INSTINCT so skandalös und unterwäschelos die Beine über Kreuz legte, nicht hören wollen, daß sie eigentlich ganz hausfräulich orientiert ist, also darf sie über Sexphantasien sprechen und damit genau das weiterspinnen, was uns im Kino so fasziniert hat.

Tom Kummer und sein Mike-Tyson-Interview.

Die größte Erkenntnis in BAD BOY KUMMER gewinnt man dann, wenn Gimes Kummer dabei zeigt, wie er aus seinen alten Interviews vorliest. Da spricht er plötzlich ganz lebhaft und mit großen Gesten, liest die Sätze so sorgfältig, als handle es sich um Literatur. Mit Blick fürs Detail erklärt er, wo er im Gespräch mit gewissen Wörtern schon Erwartungshaltungen aufbaut, Witz erzeugt, Themen verdichtet. Und dann lacht er, weil der eher schlichte Mike Tyson bei ihm so etwas Druckreifes sagt wie "Erst über das Kämpfen kann ich den Wert meiner Existenz erkennen".

Auf gewisse Weise sind Kummers Interviews also für ihn Kunstwerke – es sind Auseinandersetzungen mit den Protagonisten unserer Popkultur. Natürlich hätte er jedem deutlich machen müssen, dass sie gefälscht waren – aber dann hätte sie freilich keiner mehr abgedruckt. Und selbst wenn, wäre ihre Faszination schlagartig erloschen. Phantasien funktionieren eben dann am besten, wenn sie sich echt anfühlen.


Auch auf Wilsons Dachboden:
Ein Film über einen weiteren Journalismus-Skandal: SCHTONK! 
Ungewöhnliche Interviews von Neil Strauss: EVERYONE LOVES YOU WHEN YOU'RE DEAD




Bad Boy Kummer - Der Mann, der die Stars neu erfand (Schweiz 2010)
Regie: Miklós Gimes
Kamera: Filip Zumbrunn

CAT FIGHT WRESTLING: Furiose Frauenzimmer in leeren Lagerhallen

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Man kommt kaum umhin, den Themenkomplex von Bill Oscos Gesamtwerk als uramerikanisch zu bezeichnen. Pornofilme, Sex-Musicals, Outlaws, Serienkiller, Monster, Cheerleader, Stand-Up-Komiker, explodierende Toiletten, furzende Zwerge, wüste Provokationen: Wenn irgendwo von den Zwängen des guten Geschmacks befreit Geld zu machen war, war Produzent Osco flugs gestiefelt und gespornt. Und man muß es ihm lassen: Nicht jeder würde so stolz seinen Namen einsetzen, um ein Spektakel wie CAT FIGHT WRESTLING zu präsentieren.

Mit Catfights, also Kämpfen zwischen kratzbürstigen Damen, hat Osco ja schon gewisse Erfahrung: Schon in dem von ihm produzierten NACHTAKADEMIE zofften sich Barbara Carrera und Susan Tyrell so vehement, daß die Fäuste flogen. Und weil sich viele harte Kerle in ihrer Freizeit gerne raufende Xanthippen ansehen, stellte Osco ein einstündiges Sportevent auf die Beine, in dem acht rabiate Frauenzimmer um die Siegerkrone ringen und dabei, nunja, das eine oder andere Kleidungsstück verlieren.

Kämpferin Jen X (Angela Smith) gibt ihr letztes Hemd für den Sieg.

Gedreht wurde CAT FIGHT WRESTLING (das DVD-Cover zieht das erste Wort zusammen: CATFIGHT WRESTLING) im schönen Arizona, und das sorgt sofort für einen gewissen Dissonanzeffekt: Wir sehen eine mit schwarzen Tüchern abgehangene Lagerhalle, in der ein Kampfring aufgebaut wurde. Ich persönlich habe mir Arizona ja immer so vorgestellt, dass da weite Wüstenlandschaften und faszinierende Felsformationen zu sehen sind, und irgendwo oben lungert der Grand Canyon herum. Aber sind wir mal nicht so: Die staubige Steppe kann man in jedem Western sehen, anonyme Betonhallen eben nur in CAT FIGHT WRESTLING. Und glücklicherweise stören auch nur sechs Zuschauer den Ausblick auf die adäquat tristen Wände.

So stürzen sich die Damen also aufeinander und machen alles, was ein ordentlicher Catfight bieten muß: Sie kratzen und beißen, nehmen sich in den Schwitzkasten, ziehen sich an den Haaren, rollen engumschlungen über die Matte und werfen sich Unflätigkeiten an den Kopf. Sie tragen wohlklingende Namen wie Scarlett, Moonface oder The Bitch, und wie bei jeder anständigen Erwachsenenunterhaltung stellen sie einen Querschnitt dar, der jeden nicht vorhandenen Geschmack bedient: Die eine ein liebliches Schulmädchen, die nächste eine tätowierte Amazone, danach ein schwarzhaariger Goth, eine feurige Latina, eine dunkelhäutige Dampfwalze.

Die Berufsehre gebietet es Kommentator Kris Kloss, sich nach den Bißspuren an Ryans Brust zu erkundigen.

Begleitet werden die Kämpfe von zwei Kommentatoren: einer gewissen Pamela, die sich eher zurückhält, und Kris Kloss, der seinerzeit Ansager bei Xtreme Pro Wrestling war und immensen Enthusiasmus an den Tag legt. Er sagt oft "Oooh!", manchmal auch "Uhhh!", und einmal informiert er seine Ko-Moderatorin: "I'm getting aroused, Pam". Bei einer Kämpferin kommt er glatt ins Grübeln: "I think I recognize Madelyne from somewhere. I may have gotten a lapdance from her somewhere."

Als Running Gag fragt er übrigens nach jedem Kampf eine der Damen, ob er ihre Telefonnummer haben kann. Sie lehnen alle lachend ab oder marschieren brüskiert hinfort. Ob das wohl der Grund ist, daß die am Ende des Turniers angekündigte Fortsetzung CAT FIGHT WRESTLING II nie erschien?


Mehr Bill Osco auf Wilsons Dachboden:
COP KILLERS: Ein leerer Amoklauf durch Amerika
FLESH GORDON: Zoten und Zeitgeist
THE UNKNOWN COMEDY SHOW: Der Witz aus der Papiertüte
THE BEING: Ein radioaktives Monster bedroht die Kartoffelernte
POLICE PATROL - DIE CHAOTENSTREIFE VOM NACHTREVIER: Welcher Furzfilm könnte besser sein?
NACHTAKADEMIE: Schnodderkino mit humanistischer Gesinnung
URBAN LEGENDS: Antikino als Frankenstein-Flickwerk





Cat Fight Wrestling (USA 2002)
Alternativtitel: Catfight Wrestling
Regie: Bill Osco
Produktion: Bill Osco
Darsteller: Kris Kloss, Elishia Smith, Angela Smith, Robbie Lidstone, Yvonne Mabott, Patrick Hernandez, Madelene Farfan, Sylvia Romo, Sylvia Welch, Sara Pickering

Lichtspielplatz #8 - CONJURING 2

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Im neuen Lichtspielplatz-Podcast wird's unheimlich: Wir begeben uns mit SAW-Regisseur James Wan auf die Spuren des Enfield-Poltergeists und reden über seinen neuen Kinofilm CONJURING 2. Dabei sprechen wir - einfach, weil wir es können - auch über den ersten Teil von CONJURING und das Spin-Off ANNABELLE, reden über Machart und Techniken, über wahre Hintergründe und richtige Parapsychologen. Nebenbei streifen wir THE AMITYVILLE HORROR, IT FOLLOWS, DAS GRAUEN, YOU'RE NEXT, POLTERGEIST, SPEED und einige weitere Filme ...

Viel Spaß!



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DAS TURBOGEILE FERIENCAMP: Eine Wundertüte an Albernheiten

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Es gibt ja Menschen (so wie mich), denen muß man einen Film mit dem deutschen Titel DAS TURBOGEILE FERIENCAMP gar nicht groß ans Herz legen: Achtziger-Komödie, Feriencamp, betreut von SCREWBALLS-Produzent Maurice Smith, her damit. Aber es gibt ja auch Leute mit gutem Geschmack, die da eventuell nicht gleich anspringen. Ob die an ODDBALLS (so der Originaltitel, um die Verwandschaft mit SCREWBALLS zu verdeutlichen) interessiert wären, kann man schnell prüfen: Wenn da ein zugekokster Aerobic-Lehrer im Village-People-Look mit Herzattacke zu Boden fällt und der lallende Campleiter die Kinder fragt: "Would somebody call me an ambulance?"– wäre es dann lustig, wenn die Kinder unisono "You're an ambulance!" zurückrufen?

Richtig: ODDBALLS ist herz- und hirnerweichender Klamauk, eine knallbunte Wundertüte an Absurditäten und chaotischem Witz. Hier werden die Aktionen und Gesichtsausdrücke der Schauspieler beständig von Comic-Soundeffekten begleitet, ein Ausrutschen auf der Bananenschale darf ebenso als Witzfutter herhalten wie ein alkoholisierter Campdirektor, der mit dem Maschinengewehr versehentlich Mary Poppins vom Himmel ballert. Ob herzhaft dämliche Wortwitze oder ein mies synchronisierter Bruce-Lee-Imitator, ob ein bizarr untertitelter Dialog (für "art film fans") oder ein plötzlich hereinschneiender Möchtegern-Groucho-Marx: Hier herrscht komplette Humoranarchie.

Der finstre J. Frothingham Skinner (Donnie Bowes) und seine treu ergebene Sekretärin, Miss Renoir (Terrea Foster).

Es gibt sogar eine Mini-Handlung, die den ungestümen Unfug zusammenhält: Der sinistre J. Frothingham Skinner will das heruntergekommene Camp Bottomout (jaja) kaufen, um dort ein Einkaufszentrum zu errichten. Dazu kommandiert er seinen Sohnemann Chadwick ab, Jennifer, die hübsche Enkelin des Eigentümers Hardy Bassett, zu verführen und zu heiraten – aber die hat freilich kein Interesse an dem schnöseligen Trottel (der ein lebendiges Mini-Krokodil auf seinem Poloshirt trägt). Während der Kampf ums Camp vorangeht, wollen drei der jungen Burschen im Ferienlager endlich mal nackte Tatsachen sehen und schmieden dazu einen hanebüchenen Plan nach dem anderen. Einer der drei, Christopher, verliebt sich Hals über Kopf in Jennifer – nur ist er 12 und sie 18 …

Und mehr Plot braucht es ja nun wirklich nicht, um skurrile Albernheiten über die Leinwand flimmern zu lassen. Was immer den Filmemachern eingefallen ist, sie haben es irgendwie in den Film gequetscht: Einmal öffnet ein Bursche die Tür zum WC, auf der "Men" steht – und sieht sich einer stramm aufgereihten Gruppe Kerle gegenüber. Er schließt die Tür und schreibt schnell ein "Wo" vor das "Men"– und schon warten drinnen nur noch fesche Frauen auf ihn. Anderswo greift eine grüne Alienhand zum Telefonhörer, aber der arme Außerirdische wird vom Campleiter unsanft vor die Tür gesetzt: "From the looks of you, this wasn't going to be a local call".

Skinners Sohn Chadwick (Milan Cheylov) macht sich erfolglos an Jennifer (Konnie Krome) heran -
ihr fröhlicher Blick rührt nur daher, daß gerade Chadwicks Auto im See untergeht ...

Und sonst? Ein Betreuer will den pubertierenden Kindern beibringen, wie man Frauen aufreißt, und nimmt ein paar von ihnen dafür mit gefälschten Ausweisen und angeklebten Schnurrbärten in eine Bar namens "The Meat Rack". Ein Indiana Jones für Arme läuft durch die Gegend und klebt plötzlich an der Windschutzscheibe des Busses, der die Kinder ins Camp bringt. Der Betreuer wünscht sich für einen Filmabend "stag films" (also Pornos) – und kriegt dann Naturfilme mit einem Hirschen zu sehen ("stag" ist der Hirsch). Christopher knallt einmal mit dem Kopf gegen die Kamera und zerbricht die Linse. Und in einer völlig abgefahrenen Rückblende streiten sich die Figuren darum, wessen Flashback es nun eigentlich ist, bevor dann – warum auch nicht? – eine Mumie zur Tür hereinkommt.

Auch wenn die Jungs sich eifrig bemühen, an das weibliche Geschlecht heranzukommen, und sich sogar gegenseitig in die Weichteile treten, um bei der vollbusigen Krankenschwester des Camps behandelt zu werden, bleibt ODDBALLS in dieser Hinsicht allerdings ganz brav: Mehr als ein paar Bikinischönheiten und tiefe Ausschnitte gibt es hier nicht zu bestaunen. Der Film wirkt, als hätte man aus SCREWBALLS den ganzen Sex herausgenommen und durch noch mehr Klamauk ersetzt.

Eine Szene für "art film fans", die merkwürdige Untertitel mögen.
Trotzdem ist die Verwandschaft mit SCREWBALLS unübersehbar: Auch dort gab es überdrehten Slapstick mit Comic-Soundeffekten, beknackte Wortwitze und ein generelles Gefühl hemmungsloser Anarchie. Immerhin war Miklos Lente, der Regisseur dieses kleinen Bruders im Geiste, zuvor Kameramann bei SCREWBALLS, und auch einige der Schauspieler tauchen wieder auf. Man darf anmerken, daß Lentes Rhythmus und Timing eher holprig ausfallen – aber in gewissem Sinne trägt selbst die undisziplinierte Machart des Films zu seinem zwanglosen Charme bei.




Das turbogeile Feriencamp (Kanada 1984)
Originaltitel: Oddballs / Odd Balls
Regie: Miklos Lente
Buch: Ed Naha
Kamera: Fred Guthe (= Manfred Guthe)
Musik: Ron & Dave Harrison
Produzent: Maurice Smith
Darsteller: Foster Brooks, Mike MacDonald, Konnie Krome, Milan Cheylov, Donnie Bowes, Terrea Foster, Wally Wodchis, Jason Sorokin, Ruddy Hall, Kimberly Brooks

HONIG IM KOPF: Vom Vergessen und Verkleben

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"Wie fühlt sich das eigentlich an, wenn man alles vergißt?", will die kleine Tilda von ihrem Großvater Amandus wissen. Der alte Mann ist verwirrt, sucht oft nach Namen und Worten, vergißt, daß seine Frau schon tot ist. Er überlegt kurz, um ein passendes Bild zu finden. "So wie ... Honig im Kopf", meint er. "So ... verklebt."

Til Schweiger versucht sich mit HONIG IM KOPF an einer schwierigen Balance: Ein Wohlfühlfilm über eine Alzheimererkrankung soll es sein, eine herzerwärmende Geschichte voller Humor und dezenter Tragik über die Beziehung eines elfjährigen Mädchens zu ihrem immer dementer werdenden Großvater. Um gleich vorwegzugreifen: Das Resultat ist ein packendes und doch frustrierendes Filmerlebnis.

Noch weiß Amandus (Dieter Hallervorden, links),
wer Enkelin Tilda (Emma Schweiger) und Sohn Niko (Til Schweiger) sind ...

Schweiger ist ein Regisseur des Offensichtlichen: Die sonnigen Bilder der redenden, handelnden und reagierenden Personen sind brav aneinandergereiht, beständig spülen Klaviermusik und epischer Gefühlspop über die Momente hinweg. Jeder Moment soll hier, wie schon in seinen Beziehungskomödien, mitreißend sein, leise Zwischentöne gibt es nicht. Es fühlt sich manchmal an, als würde man ein spielfilmlanges Musikvideo aus den schwelgerischsten Weltschmerz-Charthits ansehen.

Man kann sich aber mit dieser Machart arrangieren und schauen, was HONIG IM KOPF zu bieten hat – und das ist an vorderster Stelle eine wundervolle Rolle für Dieter Hallervorden, der den verwirrten Großvater so anrührend spielt, daß er den Film ein ums andere Mal aus seiner starren Inszenierung herausreißt. Manchmal scheint der alte Hallervorden-Witz durch – etwa, wenn er im Gespräch mit einem Arzt nie die Eingangsfrage "Wie geht es Ihnen?" beantworten kann, aber sich irgendwann beschwert, daß der Arzt offenbar keine anderen Fragen auf Lager hat. Und dann gibt es Momente wie die, wo er sich bei seiner Schwiegertochter für die mißglückte Gartenarbeit entschuldigen will – und dafür treublickend mit einem Strauß Blumen antrabt, die er aus genau diesem Garten gerissen hat.

Amandus vergißt auch, wie das mit dem Zähneputzen geht.

Die erste Filmhälfte baut der Film ganz auf diesen zum Lachen traurigen und zum Weinen lustigen Mann, der sich den Namen seiner Schwiegertochter nie merken kann, ihre High Heels auch schon mal in den Backofen legt und nachts versehentlich in den Kühlschrank pinkelt. Hallervorden ist so echt in der Rolle, dass die Welt um ihn herum zum Stichwortgeber wird: Til Schweiger darf als leidgeprüfter Sohn das Ausmaß der Krankheit herabspielen, Jeanette Hain als Schwiegertochter Sarah die Nerven verlieren, und Emma Schweiger als Enkelin Tilda stets keck grinsen, weil Opa schon wieder Unfug macht.

Aber dann verliert der Film die Nerven: Ein großes Kino-Konzept muß her, 139 Minuten Laufzeit müssen gefüllt werden! Also entführt Tilda ihren Großvater, weil der in ein Pflegeheim kommen soll, und reist mit ihm nach Venedig. Was als zärtliche Opa-und-Enkelin-Beziehung aufgezogen war, mutiert da plötzlich zum aufgeblähten Roadmovie, das jegliche Glaubwürdigkeit in der Annahme über Bord wirft, ein solch zweifelhaftes Unterfangen sei irgendwie rührender als die vorangegangenen Szenen, in denen Tilda ihren Opa einfach immer dieselben alten Geschichten hat erzählen lassen, weil er bei denen so glücklich ist.

Ein kleines KEINOHRHASEN-Zitat: Niko (Til Schweiger) und seine Frau Sarah (Jeanette Hain).

Der Film kippt ab der Hälfte also komplett ins Märchenhafte. Schon auf der Fahrt zum Bahnhof schrotten die beiden ein Auto und verursachen konsequenzenlos einen Straßenunfall. Später hilft jeder Mensch der Elfjährigen und ihrem offensichtlich verwirrten Großvater auf der Reise, ohne ansatzweise nach den Eltern zu fragen; eine Station im Nonnenkloster fehlt ebensowenig wie eine Nacht am Lagerfeuer unter dem Sternenhimmel. Ein dahergelaufener Putzmann darf die beiden auch schon mal, weil er ja so ein großes Herz hat, im Müllwaggon an der Polizei vorbeischmuggeln.

Wobei die Polizei eigentlich ohnehin keinen großen Bahnhof veranstaltet: Auf Anfrage der Eltern lächelt der zuständige Wachtmeister nur sanft und meint, die beiden würden sicherlich eine glückliche Reise erleben. Die Eltern selber kommen auch erst nach einem Tag auf den Gedanken, ihre Tochter am Handy einfach mal anzurufen, und reisen dann gemütlich nach Venedig, wo sie eine romantische Nacht verbringen und am nächsten Tag schlendernd ihre Tochter und den orientierungslosen Großvater wiederfinden.

Das Herzstück des Films: Die Beziehung zwischen Tilda (Emma Schweiger) und ihrem Opa (Dieter Hallervorden).

Und nein, die Eltern sind keinen Millimeter wütend auf ihre verantwortungslose Tochter, sondern sagen ihr auch noch, daß sie stolz auf sie sind. Nicht nur, daß der Film sich selbst so sehr mißtraut, daß er nach über einer Stunde noch plötzlich eine ebensolange Abenteuerreise zusammenfabuliert – nein, er entwickelt sich dann prompt zum modernen Äquivalent der alten Heimatfilme, in denen die von zu Hause ausgerissene Tochter mit ihrem Fortlaufen dafür sorgt, daß die Eltern ihre Streitigkeiten beiseitelegen und sich wieder in die liebenden Armen fallen. "Verklebt" scheint das passende Wort zu sein.

Man kann dem Film mit etwas Geduld auch das nachsehen. Immerhin ist HONIG IM KOPF eine von Dieter Hallervordens besten und spannendsten Rollen, und immerhin verliert Schweiger selbst im größten Eskapismus nicht die Menschlichkeit seines Protagonisten aus dem Auge. Der Film hat das Herz am rechten Fleck, und in einigen Momenten geht einem die Geschichte sehr nah. Schade, daß die Erzählung drumherum dann selber irgendwann Honig in den Kopf kriegt.


Mehr Til Schweiger auf Wilsons Dachboden:
KOKOWÄÄH 2: Offensichtliche Konstruktion und ebensolcher Humor




Honig im Kopf (Deutschland 2014)
Regie: Til Schweiger
Buch: Hilly Martinek, Til Schweiger
Kamera: Martin Schlecht
Musik: David Jürgens, Dirk Reichardt, Martin Todsharow
Darsteller: Dieter Hallervorden, Til Schweiger, Emma Schweiger, Jeanette Hain, Mehmet Kurtulus, Tilo Prückner, Jan Josef Liefers, Helmut Zierl, Samuel Koch, Samuel Finzi, Udo Lindenberg

Die Screenshots stammen von der BluRay (C) 2014 Warner Bros.
 

BEFORE SUNRISE: Der Traum vom Kennenlernen

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Es ist eine kleine, persönliche und doch fast magische Reise, auf die sich die beiden Protagonisten von BEFORE SUNRISE begeben: Der Amerikaner Jesse und die Französin Celine, beide Anfang 20, lernen sich im Zug von Budapest nach Wien kennen. Jesse muß dort aussteigen, weil am nächsten Morgen von dort sein Flug zurück in die Staaten geht – und er überredet Celine, mit ihm die Nacht durch Wien zu streifen und ihr Gespräch fortzusetzen.

Viel mehr braucht Regisseur Richard Linklater scheinbar nicht für seine Geschichte: Ein Mann, eine Frau, eine fremde und wunderschöne Stadt, ein komprimiertes Kennenlernen mit Ablauffrist. Und doch steckt BEFORE SUNRISE so voller Leben und Gedanken, voller Phantasien und Erwartungen, daß in der aufblühenden Beziehung zwischen Jesse und Celine die ganze Welt zu stecken scheint. Es ist wie die Erfüllung einer Sehnsucht, ein romantischer Traum vom zwanglosen Kennen- und tiefgreifenden Liebenlernen. Dabei ist der Film in keiner Sekunde angekitscht oder sentimental - im Gegenteil, die Inszenierung könnte kaum beiläufiger sein.

Jesse und Celine vor der Wiener Staatsoper.

Während ihrer Zeit in Wien reden die beiden über Alles und Nichts: Sie reden über das, was sie beschäftigt, über das, was sie sehen, über wichtige Lebensinhalte und luftige Spinnereien. Es geht um Männer und Frauen, um ehemalige Liebhaber und zukünftige Lebenspläne, um Wünsche und Ängste, um banale Geschichten, die einem eben manchmal so einfallen, und um die Weltanschauung. Er ist oft etwas zynisch und spielt den Coolen, weil er eigentlich ein Romantiker ist. Sie ist idealistisch und optimistisch – vielleicht, weil sie Angst hat, die Welt könnte so viel nüchterner sein, als sie es gerne hätte.

Daß BEFORE SUNRISE in solchem Plauderton daherkommt, ist trügerisch. Ganz sanft, beinahe unmerklich, leitet Linklater die beiden durch eine kleine Kompaktversion menschlicher Verbindungen, die stets eine gewisse Grundspannung hält. In jeder Szene formt sich die Beziehung der beiden etwas weiter: Gleich am Anfang sind sich beide sympathisch, lernen sich ein wenig im Speisewagen kennen, dann muß sie entscheiden, ob sie sich auf das Wien-Abenteuer mit dem fast Unbekannten einläßt. Kurz darauf betont er den Flirt, legt beiläufig den Arm hinter ihr auf die Sitzlehne der Straßenbahn und lenkt das Gespräch zu sexuellen Themen. Irgendwann ist klar, daß sich beide anziehend finden – und weil die Situation so außergewöhnlich ist, vermeiden es beide lange Zeit, die Tatsache anzusprechen, daß er in nur wenigen Stunden wieder nach Hause fliegen wird und sich beide vielleicht nie wiedersehen.

Ein Kennenlernen als magische Reise: Celine (Julie Delpy) und Jesse (Ethan Hawke) erkunden Wien.

Trügerisch ist auch die Inszenierung: Alles wirkt so leicht und ungesteuert, daß man den Eindruck kriegt, die Gespräche seien improvisiert, als wäre das Filmteam einfach durch Wien gewandert und hätte die Kamera auf Ethan Hawke und Julie Delpy gehalten, wie sie sich unterhalten. Dabei ist das genaue Gegenteil der Fall: "The truth of these movies is, they are tediously rehearsed, every detail planned, every overlapping line scripted", erzählte Delpy 2013 dem Chicago Tribune. "It's so precise that it's almost a joke when people think we are acting off the cuff."

So genau diese beiden Menschen beobachtet sind, und so detailreich, wie sie von Hawke und Delpy mit Verhaltensweisen gefüllt werden, greift BEFORE SUNRISE aber doch weit über seine Zweierkonstellation hinaus. Jesse und Celine sind nicht stellvertretend für die Generation X, sie sind individuelle Personen, die sich wie der Film selber auch mit den dazugehörigen Gedanken beschäftigen. Zum Beispiel, wenn Jesse offenbart, daß seine Zugreisen durch Europa der Sinnsuche dienen: "I just wanted to be a ghost, completely anonymous." Oder dann, wenn Celine philosophiert, wie jede Generation ihre Rebellion austragen muß, egal, wie sehr es die Eltern gut gemacht oder gut gemeint haben. Und ganz besonders dann, wenn Jesse erklärt, dass er nicht weiß, was er arbeiten soll, aber ihn anderer Leute Vorschläge kaltlassen: "I could never get very excited about other people's ambitions for my life". Es ist ein Schlüsselsatz für die meisten Linklater-Protagonisten.

Weder Jesse noch Celine wollen dabei erwischt werden, wie sie den anderen ansehen.

Und sollte man die Tatsache herunterspielen, daß es in BEFORE SUNRISE um nichts Weltbewegendes geht, sondern "nur" um das Kennenlernen zweier Leute, hat der Film auch dafür in einer Szene einen Gedanken, der fast als Leitspruch für Linklaters Filme gelten kann. Während ihrer Wanderung durch Wien erklärt Celine: "I believe if there's any kind of God, it wouldn't be in any of us, not you or me, but just this little space in between. If there's any kind of magic in this world, it must be in the attempt of understanding someone sharing something. I know, it's almost impossible to succeed – but who cares really? The answer must be in the attempt."

Das fast Alltägliche, das BEFORE SUNRISE so charmant ausstrahlt, ist also eigentlich eine reine Illusion. Der Film ist ein leidenschaftliches Statement für die Kommunikation. Es ist ein schwärmerisches Ideal menschlicher Verbindung, inszeniert als magische Nacht – nicht umsonst reden beide über das Aschenputtel-Märchen, nicht umsonst zeigt Linklater am Ende all die bezaubernden Stationen am nüchternen Tage: Beim Café wurden die Tische und Stühle nach innen geräumt, beim nachts so strahlend leuchtenden Opernhaus fährt morgens die Müllabfuhr vor.

Die letzten beiden Bilder zeigen unsere Protagonisten, wie sie einschlafen. Der Traum vom Kennenlernen kann weitergehen.


Mehr über Richard Linklater und auch BEFORE SUNRISE ist in unserem Lichtspielplatz-Podcast über EVERYBODY WANTS SOME!! zu hören.




Before Sunrise (USA/Österreich/Schweiz 1995)
Regie: Richard Linklater
Buch: Richard Linklater, Kim Krizan
Musik: Fred Frith
Kamera: Lee Daniel
Darsteller: Ethan Hawke, Julie Delpy, Erni Mangold, Hanno Pöschl, Tex Rubinowitz

Die Screenshots stammen von der DVD (C) 2004 Warner Bros.

Talking Pictures #2: Mark W. Travis, Director of GOING UNDER

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TALKING PICTURES is an interview series in which I talk to the people behind some of my favorite movies. From cult movie directors to character actors, from seasoned veterans to brilliant newcomers, from celebrated artists to filmmakers who haven't received the recognition they deserve - these folks have made some great movies and have lots of fascinating stories to tell.


Back in the Nineties, I came across a comedy on German television starring Bill Pullman that was called U-BOOT ACADEMY - a film that seemed to be in the same vein as the POLICE ACADEMY movies, with lovably goofy characters and a delightfully silly kind of humor. Even though Michael Winslow had a small part in it, the film actually didn't have anything to do with the ACADEMY series, as I later found out - its original title was GOING UNDER. Regardless of its connection or lack thereof to the ACADEMY movies, I loved the film - its visual gags, its crazy ideas, its Zucker-style absurdity. Pullman was in his wonderful early comedy mode, and the film (which I've always seen in its dubbed version, which adds quite a lot of puns) remains endlessly quotable.

Over the years, I've always kept an eye out for other films made by GOING UNDER's director, Mark W. Travis. While Mark has worked extensively in television and theatre, GOING UNDER remains his only feature film. However, Mark went on to become a well-regarded teacher, doing acting and directing workshops all over the world, and releasing several books on directing, e.g. THE FILM DIRECTOR'S BAG OF TRICKS. You can find out more about him on his website.

After revisiting the film and writing about it (here - a German-language review, though, like most entries in this blog), I decided to contact Mark and interview him about the film. I was surprised to hear that there was a lot of behind-the-scenes drama in post-production, and the finished film isn't what Mark wanted at all ...



The mp3 file can be downloaded HERE.
The Talking Pictures podcast can be found on iTunes: HERE.

Photo of Mark W. Travis (C) Mark W. Travis.
Special thanks to Dr. Wily, my Lichtspielplatz podcasting partner for audio editing. The music was created by Clark Kent.

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